Literatur-Kolumne:Was lesen Sie?

Lesezeit: 2 min

"Das Buch trifft mich": die Schriftstellerin Esther Dischereit. (Foto: Peter Ptassek/Secession Verlag/dpa)

In unserer Interviewkolumne fragen wir Schriftstellerinnen und Schriftsteller nach ihrer aktuellen Lektüre. In dieser Folge: Esther Dischereit.

Von Miryam Schellbach

Esther Dischereit ist Lyrikerin, Essayistin und Kommentatorin. 1952 in Heppenheim geboren, arbeitete sie in der Metall- und Druckindustrie, bevor sie Schriftstellerin wurde. Zwischendrin war sie auch Gewerkschaftsreferentin. Zuletzt erschienen ihre Textsammlung "Mama, darf ich das Deutschlandlied singen" 2020 im Mandelbaum Verlag, 2021 hat sie den Band "Hab kein Angst. Erzähl alles. Das Attentat von Halle und die Stimmen der Überlebenden" im Herder Verlag herausgegeben.

SZ: Was lesen Sie gerade, Frau Dischereit?

Ich habe zwei Drittel des Buches "Revolutionary Yiddishland A History of Jewish Radicalism" von Alain Brossat and Sylvia Klingberg gelesen, ich fand das Buch total aufregend, es berichtet von einer Welt der Kämpfe, von denen ich so genau noch nie gehört hatte. Die Interviews sind zu stark gekürzt, schade.

Welches Buch hat Sie am meisten geprägt?

Es ist besonders aufregend, wenn ich auf ein Buch treffe, einen Fund mache, von dem ich nicht wusste, dass ich ihn machen würde. Im Grunde ist es dann umgekehrt, das Buch trifft mich. "Der Meister und Margarita" von Michail Bulgakow war so ein Buch, das eine Zeit lang bei mir blieb, als hätte jemand einen Gesteinsbrocken vor meine Tür gelegt. Ich ging nicht hindurch, nicht hinein und nicht hinaus. Ich las.

Welches Buch kommentieren Besucher und Besucherinnen, die an Ihren Regalen vorbeigehen, am häufigsten?

Ich habe nur wenige Regale, sie gehören zum Arbeitszimmer. In Augenhöhe befinden sich fast nur Wissenschaftsbücher, viele davon haben etwas mit der Schoah zu tun, Bücher des Schreckens, da gibt es nichts zu kommentieren.

Wie viele Romane braucht die Menschheit noch?

Ich brauche meine Kinder, Butter auf dem Brot, Frieden, Freiheit, alles Mögliche. Romane sind da, sind eben da, von mir aus auch Dreigroschenromane. Preti Tanejas dickes Buch "Wir die wir jung sind", das brauchten wir wohl.

SZ PlusWahl in Ungarn
:"Orbán ist ein ängstlicher Mensch"

Ungarn wird seit zwölf Jahren von Viktor Orbán regiert, am Sonntag wird in dem Land gewählt. Ein Besuch bei dem ungarischen Schriftsteller Péter Nádas, um zu fragen: Besteht die Aussicht auf einen Regimewechsel?

Gastbeitrag von Svante Weyler

Mit welchem Buch geben Sie ständig an, ohne es je gelesen zu haben?

Früher stapelten wir, stapelte ich Karl Marx' "Das Kapital" und dazu die "Grundrisse" vor mir auf den Tisch. Die Sache mit den "Grundrissen" war Angabe. Ich hätte gerne Piketty gelesen, das letzte Buch von Arundhati Roy und Amartya Sen.

Eines ihrer aktuellen Bücher heißt "Mama, darf ich das Deutschlandlied singen". Wie fällt die Antwort aus?

Diese Frage stellt ein Kind, ein jüdisches Kind, ein jüdisches Kind in Deutschland oder ein deutsches Kind, das auch jüdisch ist. Die Antwort wird nicht gegeben. Es geht darum, dass sich in diesem Kind sofort ein Zweifel ausbreitet, ob es mittun soll bei dem, was die Lehrerinnen richtig finden - eben dem Erlernen der Nationalhymne. Es ist eine Frage des Vertrauens, sie muss leider gestellt werden.

Wann ist politische Literatur gut, wann ist sie schlecht?

Manche sprechen von ihrem Wort als Waffe. Ich tue das nicht. Wladimir Putin interessieren meine Bleistifte nicht. Trotzdem schreibe ich, schreiben wir, wir schreiben immer weiter, so als hätten wir nie etwas anderes getan. Der ukrainische Schriftsteller Jurij Andruchowytsch wollte mit über 60 Jahren nicht ausschließen, dass er sich, wenn nötig, am Partisanenkampf gegen die russische Invasion beteiligen werde. Andruchowytsch schrieb in einer E-Mail: "We shall overcome". Und der nächste Roman werde wahrscheinlich im Ton härter werden.

Weitere Folgen der Interview-Kolumne lesen Sie hier .

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

SZ PlusKrieg in der Ukraine
:Früher hätte man mich einen Relativisten genannt

Ein Brief des Schriftstellers Ingo Schulze an einen Freund über das Verzweifeln am Krieg in der Ukraine und die Frage, wie sich die Literatur nun verhält.

Gastbeitrag von Ingo Schulze

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: