Vorschlag-Hammer:Romantischer Moment

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Manchmal sind die Umstände alles andere als ideal. Die Musik aber erfasst, verblüfft und erfrischt einen

Kolumne von Harald Eggebrecht

Manchmal begegnet einem so etwas wie Romantik unmittelbar, unvorhersehbar. Nicht "Romantik" im Kitschsinn eines Candle Light Dinner, nicht als Sonnenuntergang in Cinemascope, nicht als sentimentale Erinnerung an irgendetwas, das angeblich damals sehr schön war. Sondern gegenwärtig, hart, realistisch und überraschend.

Dazu gehören auch Bedingungen, die alles andere als günstig sind: Es hat gerade geregnet, die Temperaturen liegen bei höchsten 15 Grad, die Cellistin fühlt sich fiebrig und erkältet, der Geiger ist erst am Nachmittag eingetroffen, mit dem Pianisten haben sie noch nie zusammen gespielt, obwohl man sich vom Studium her kennt. Der Musikraum mit dem Flügel ist zu klein für ein größeres Publikum als höchstens sechs Personen. Man könnte allerdings die Menschen draußen vor die geöffneten Fenster setzen in der Hoffnung, dass es erstens trocken bleibt und nicht zu kalt wird, und zweitens, dass die Musik einigermaßen passabel nach außen auf den alten Hof dringt.

Die Zuhörer lassen sich darauf ein, versammeln sich dicht vor den offenen Fenstern des Musikzimmers. Draußen dunkelt es bereits. Nun beginnen die Musiker zu spielen, die Streicher im Duo, der Pianist allein. Erwin Schulhoff, Domenico Scarlatti, Ludwig van Beethoven, zum Schluss einen feurigen Czardas zu dritt. Blätterrauschen, Grillenzirpen, Vogelgeräusche mischen sich störungsfrei ein. Das Publikum lauscht gebannt, schaut, und plötzlich wissen es alle: Das ist wirklich romantisch, dieser Blick von draußen durchs Fenster in ein erleuchtetes Zimmer, in dem musiziert wird. Auch nach dem Ende wirkt die Szene nach, als sei das alles literarisch erfunden, die Zuhörer sprechen darüber, wie es sie erfasst, verblüfft und erfrischt hat, und dass sie das Ganze erlebt hätten, als seien sie ins 19. Jahrhundert geraten bei lebendigem Leib und wachen Sinnen.

Wegen solch einmaliger Momente gehen wir auch ins Konzert, in die Oper, sogar zum Fußballspiel. Wie hat der legendäre Fußballtrainer Sepp Herberger gesagt: Wir gehen hin, weil wir nicht wissen, wie es ausgeht. Daher sprechen abschätzige Bemerkungen, dass immer dasselbe gegeben werde ob in Bayreuth, Salzburg oder sonstwo auf Festivals, nur von der Ignoranz derer, die so tönen. Also los und auf zur Neuinszenierung von Mozarts "Idomeneo" (Salzburg, 6. und 9. August) oder zu Wagners "Parsifal" (Bayreuth, 5. August) oder wo sonst jemand öffentlich Musik macht.

© SZ vom 03.08.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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