Vorschlag-Hammer:Regen und Reichtum

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Das Leben in London ist trist und die Welt nicht wirklich schön - Hitchcock hat diese Erkenntnis 1932 mit "Rich And Strange" auf die Leinwand gebracht

Kolumne von Fritz Göttler

Oh dear, was für ein tristes Leben in London, nichts als Gewusel und mieses Wetter, besonders am Wochenende. Die Angestellten verlassen ihre Schreibtische, wo sie über ihren Zahlenkolonnen brüteten wie Hühner in der Legebatterie. Draußen regnet es, ratsch, ratsch, ratsch, die Schirme aufgespannt (eine Ausnahme: verklemmt!), runter in die U-Bahn, der Bahnsteig prall gefüllt, die Bahn fährt ein, man quetscht sich (nix von der britischen Kunst des gleichmütigen Schlangestehens!) hinein, es ist eng, kein Platz für die Zeitung oder den Schirm. Kinohorror vom Anfang der Tonfilmzeit. Ein junges Paar sucht krampfhaft ein Happy End, tatsächlich kommt eine Erbschaft, los geht's auf eine Weltreise. Aber natürlich ist es in der Welt nicht wirklich schön, und ein Katzenfell spielt eine wesentliche Rolle bei diesem Erkenntnisprozess. Rich And Strange heißt der Film, 1932, er ist zu sehen in der Alfred-Hitchcock-Retro im Filmmuseum, Sonntagabend, zur Einstimmung auf die neue Woche. Auch der Regisseur träumt schon von Aufbruch und Weggang, nach Amerika, Hollywood, er vertreibt sich die Zeit mit absonderlichen Projekten, ein Stück des irischen Dramatikers Sean O'Casey, ein Roman des berühmten John Galsworthy, ebenfalls am Wochenende im Filmmuseum. Und nächste Woche Walzer aus Wien, die Geschichte der Musikerfamilie Strauss, den Ursprung der "Blauen Donau ".

Noch eine triste gesellschaftliche Enge, Liberté, von Albert Serra (von Montag an wieder im Werkstattkino). Die filmische Version eines Projekts, das Serra an der Berliner Schaubühne für Chris Dercon machen durfte. Eine Gruppe Adeliger wird nach dem Tod Ludwigs XV. kurz vor der Französischen Revolution der Stadt Paris verwiesen. Sie suchen Freiheit im Exzess, im Exil beim ominösen Duc de Walchen, verkörpert vom Visconti-Favoriten Helmut Berger. Kurz vor Berlin bleiben sie stecken, verklemmt, in einem Wald, der nichts Romantisches oder Märchenhaftes hat. Ein Hauch von Sadismus liegt über der nächtlichen Lichtung. Serra überschreitet die Grenzen zwischen den verschiedenen Medien, er ignoriert die Regeln, die Dramaturgen und Kritiker für ihr Funktionieren aufgestellt haben, spielt das Theater gegen das Kino aus, düpiert wieder alle, die sich nach reiner Schau- und Miterlebenslust sehnen.

© SZ vom 31.01.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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