Vorschlag-Hammer:Bastler auf der Bühne

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Eine Flügelei ist eine Werkstatt, in der Flügel hergestellt werden. In Oberammergau gibt es eine solche Werkstatt. Und ich stelle es mir gerade sehr schön vor, am Abend zu Hause zu erzählen zu können: "Ich hab heute Erzengel Michaels Flügel fertiggestellt"

Von Christiane Lutz

Diese Woche war ich zu Besuch in einer Flügelei. Entweder gehören Sie zu den Menschen, die sofort verstehen, was damit gemeint ist, oder sie lesen Flügel-Ei und fragen sich, ob das vielleicht ein geflügeltes Ei ist. Nein, eine Flügelei ist eine Werkstatt, in der Flügel hergestellt werden. Ähnlich der Schneiderei, wo Kleidung geschneidert wird. In der Flügelei saßen vier Künstlerinnen, die eifrig tausende Federn bügelten, zuschnitten, stecken, klebten um daraus riesige Flügel zu bauen. Diese Werkstatt gehört zum Passionstheater Oberammergau, wo gerade alles für die Passionsspiele 2020 vorbereitet wird. Und wo eine biblische Geschichte erzählt wird, sind natürlich Engel. Und wo Engel sind, müssen auch Flügel sein. 21 Paar müssen bis März fertig sein. Ich stelle es mir sehr schön vor, am Abend zu Hause zu erzählen: "Ich hab heute Erzengel Michaels Flügel fertig gestellt." Die Menschen, die das machen, sind natürlich nicht ausschließlich Flügelbastler oder Blutrührerinnen. Meist sind es Szenenbildnerinnen, Requisiteure, die qua Auftrag zu Experten werden. Der Besuch in der Flügel-Werkstatt steht auf der Liste meiner lustigen Theaterwerkstattbesuche weit oben. Das will was heißen, ich habe schon beim Silikonmaskenerstellen, beim Rattenfüßebasteln und kanisterweise Blutzusammenrühren zugeschaut. Bis man die Flügel dann auf der Bühne sehen kann, dauert es allerdings noch, Premiere der Passion ist im Mai 2020.

Zur Überbrückung der Zeit bis dahin könnte man sich im Rahmen der Woche der Vielen, die noch bis Sonntag in München stattfindet, die Lesung Tiefrot und radikal bu nt von der Journalistin und Autorin Julia Fritzsche anhören (Samstag, 16. November, 19.30 Uhr, Feierwerk). In ihrem gleichnamigen Buch plädiert sie dafür, dass sich die Linken in ihren Ideen für eine bessere Zukunft zusammentun, statt sich über Unterschiede zu streiten. Oder zu Shout out loud, einer "immersiven Theaterinstallation" von Karen Breece. Der unsinnliche Begriff sollte nicht abschrecken, Karen Breece macht wunderbare Performances und hat diese in den Blitz-Club verlegt, wo Hörende und Gehörlose aufeinandertreffen, um Musik zu spüren (Premiere am Sonntag, 17. November, 19 Uhr). Auch das Stück Pop Amok klingt nach gutem Zeitvertreib bis zur Flügelpremiere (15.,16., 21. bis 23. November, 20.30 Uhr, Mucca). Der Autor Max Rixinger erzählt darin die Geschichte der Band Hallodus, die herausfinden will, was heute überhaupt noch erlaubt ist. In der Kunst zum Beispiel, wenn zum Beispiel Shakespeares Texte als gewaltverherrlichend und frauenfeindlich gelesen werden können. Vielleicht werde ich aber auch einfach zuhause irgendwas für die Ausstattung von Engeln basteln. An Weihnachten sind die ja auch verstärkt im Einsatz.

© SZ vom 16.11.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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