Umgang mit der AfD:Alles was hilft, ist leidenschaftliche Rhetorik

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Die AfD kann nicht nur Zombie-Figuren hervorbringen wie den thüringischen Landtagsabgeordneten Björn Höcke, sondern auch politische Strategen. Das muss man ernst nehmen. (Foto: dpa)

Weder Talkshowverbot noch Verfassungsschutz können gegen die Affektpolitik der AfD etwas ausrichten. Doch es gibt ein Mittel, um die AfD unter Druck zu setzen.

Von Lothar Müller

Als kürzlich der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel kundtat, für ihn gehöre die AfD in den Verfassungsschutzbericht und nicht ins Fernsehen, war das knapp und trocken gesagt, ließ aber viele Fragen offen. Zum Beispiel die, was man mit der AfD macht, wenn sie zwar nicht in Talkshows sitzt, dafür aber in Landesparlamenten. Das ist derzeit in Brandenburg, Bremen, Hamburg, Sachsen und Thüringen der Fall, und in naher Zukunft finden Landtagswahlen in Baden-Württemberg, Sachsen-Anhalt und Rheinland-Pfalz statt.

Der rhetorische Radikalismus hat den Einzug der AfD in die Landesparlamente eher befördert als behindert, und so wird es bleiben. Mit der erweiterten Gabriel-Formel, die Partei gehöre so wenig in die Parlamente wie in die Talkshows, wird sie sich nicht daraus vertreiben lassen. Es hilft nichts, die mit der AfD rivalisierenden Parteien müssen ihr auf der Ebene begegnen, auf der sie herausgefordert werden: auf der rhetorischen. Das gilt für die Talkshows und öffentlichen Plätze, es gilt aber vor allem für den klassischen Ort politischer Rhetorik, das Parlament.

Dem steht aber offenkundig die in den Parteien selbst wie im Publikum weithin akzeptierte Auffassung entgegen, in der modernen, repräsentativ verfassten Mediendemokratie büße das parlamentarische Plenum als Ort der Auseinandersetzung unweigerlich seine Schlüsselfunktion ein zugunsten abgeleiteter Institutionen wie der Ausschüsse und Arbeitsgruppen. Obwohl Bundestagspräsident Norbert Lammert nicht müde wird, dagegen anzuwettern, hat sich quer durch das politische Spektrum der Eindruck verfestigt, das Parlament sei - zumal in Zeiten großer Koalitionen - zum dekorativen Element herabgesunken, die eigentlichen Entscheidungen fänden "woanders" statt.

Es gibt aber keine eherne mediengeschichtliche Notwendigkeit, die von modernen Parlamentariern verlangt, die kursierenden Bagatellisierungen des Parlaments einfach nur nachzubeten. Und das gilt vor allem dann, wenn, wie jetzt, im Zuge der Parlamentarisierung der AfD die Auseinandersetzung mit dem rhetorischen Radikalismus an Bedeutung gewinnt.

Denn ein Grundelement in diesem Radikalismus ist ja gerade die Diskreditierung des Parlaments als dekorative Veranstaltung der "Altparteien" zum Zwecke der Täuschung des Volkes. Als der AfD-Funktionär Marc Jongen 2014 im Magazin Cicero den Entwurf eines Manifests für eine Revolution der "bürgerlichen Mitte" als der "eigentlich revolutionären Klasse" publizierte, war das Ziel die "Wiederherstellung der Souveränität des Volkes gegenüber dem Lobbyismus".

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Eine der Quellen solcher Formulierungen ist die Kritik am Parlamentarismus in der Weimarer Republik. Carl Schmitt etwa befand, "die Entwicklung der modernen Massendemokratie" habe "die argumentierende öffentliche Diskussion zu einer leeren Formalität gemacht", die parlamentarischen Normen wirkten "wie eine überflüssige Dekoration, als hätte jemand die Heizkörper einer modernen Zentralheizung mit roten Flammen angemalt, um die Illusion eines lodernden Feuers hervorzurufen".

Der Radikalismus hat die rhetorische Leidenschaft nicht gepachtet

In solchen Metaphern zeigt sich ein Grundmotiv des rhetorischen Radikalismus: die Suggestion, er sei der legitime Erbe der im "Mainstream" erloschenen, kanalisierten politischen Leidenschaft. Die diskursive, gemäßigte Rede gerät unter den Verdacht, ein Instrument der Täuschung zu sein. Alle Sternstunden des Parlamentarismus - wie zum Beispiel die Debatte über den Regierungsumzug nach Berlin - belegen aber, dass der Radikalismus die rhetorische Leidenschaft nicht gepachtet hat.

Nichts wäre derzeit wünschenswerter als eine Sternstunde diskursiver rhetorischer Leidenschaft im Parlament, mit allen Differenzen über die Flüchtlingspolitik zwischen CDU, SPD und CSU, Grünen und Linken, einschließlich einer Rede der Kanzlerin, die ihre Position in eine "große Erzählung" über den Ursprung der Krise und die Gründe für ihren "Alleingang" einbettet. Ihre Neujahrsansprache enthielt diese Erzählung leider nicht.

Jongen hat in seinem Cicero-Artikel Mimikry mit dem "Kommunistischen Manifest" betrieben: "Ein Gespenst geht um in Deutschland - das Gespenst der AfD. Alle Mächte der Bundesrepublik haben sich zu einer heiligen Hetzjagd gegen das Gespenst verbündet, die Kanzlerin und der Bundespräsident, Bischof Zollitsch und Claudia Roth, die Antifa und die Mainstream-Medien." Das war zwar eine eher ausgeleierte als originelle Mimikry, aber seit dem Herbst 2015 hat sich das darin enthaltene Muster bewährt: das Aufgreifen linker Revolutionsmodelle, um den rechten Aufschwung zu befördern. Zu diesen Modellen gehört das von dem italienischen Kommunisten Antonio Gramsci entwickelte Konzept der Eroberung der "kulturellen Hegemonie".

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Parteien wie die AfD politisch ernst nehmen, heißt, damit rechnen, dass sie nicht nur Zombie-Figuren hervorbringen wie den thüringischen Landtagsabgeordneten Björn Höcke, sondern auch politische Strategen. Es gibt Anzeichen dafür, dass es diese Strategen gibt. Die AfD erzielt derzeit Terraingewinne in der öffentlichen Diskussion, die weit größer sind, als es ihrer Stärke in den Landesparlamenten entspricht. Je länger man sich über einen "Schießbefehl" zur Grenzsicherung ereifert, desto menschenfreundlicher erscheinen alle Maßnahmen zur Reduzierung der Flüchtlingszahlen, die unterhalb des Erschießens angesiedelt sind.

Zumal sich eine Asymmetrie nach Köln "wie von selbst" durchgesetzt hat: die Asymmetrie zwischen dem Erregungspotenzial gegenüber kriminellen Flüchtlingen und dem Erregungspotenzial gegenüber Kriminellen, die Brandanschläge und andere Attacken gegen Flüchtlingsheime begehen - am Wochenende waren es fünf allein in Leipzig, Grimma und Chemnitz. Ohne eine leidenschaftliche Rhetorik, die diese Asymmetrie aufgreift und in die politische Debatte holt, lässt sich die AfD nicht unter Druck setzen. Auch, wenn diese Debatte andere Parteien in Mitleidenschaft zieht.

© SZ vom 03.02.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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