TV-Serie "Secret and Lies":Besorg dir einen guten Anwalt, Junge

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Duell der Blicke: Juliette Lewis als Kommissarin Andrea Cornell (rechts) und Ryan Phillippe als Verdächtigter Ben Crawford in der Serie "Secret and Lies". (Foto: ABC)

Kann ein Mann mit so treuherzigem Blick ein Mörder sein? Die Serie "Secrets and Lies" mit Ryan Phillippe hat wenig Originelles zu bieten. Zum Glück spielt Juliette Lewis die verbissene Kommissarin.

Von Luise Checchin

Gäbe es den Band "Krimi-Drehbuch-Schreiben für Dummies" und gäbe es darin das Kapitel "Wie man dem Zuschauer vermittelt, dass etwas Beunruhigendes vor sich geht", was würden die Autoren wohl vorschlagen? Vielleicht eine spiegelglatte Wasseroberfläche, auf die urplötzlich ein Regenschauer niedergeht? Oder Nebelbänke zwischen kahlen Bäumen im bläulichen Licht der Dämmerung? Ein bisschen dick aufgetragen? Ach was.

Die Serie "Secret and Lies" hat ein grundsätzliches Problem und das heißt Mittelmäßigkeit. Es gibt mittlerweile so viele Serien, die inhaltlich und ästhetisch herausragend sind. Wenn einem als Zuschauer also in den ersten 30 Sekunden eines Piloten zwei so platte bildsprachliche Floskeln angeboten werden wie Regen-auf-Seeoberfläche-im-Nebelwald, möchte man müde abwinken.

Ein toter Nachbarsjunge und ein einziger Zeuge

Andererseits ist es wohl ein bisschen zynisch, müde abzuwinken, wenn da gerade ein Mann durch den Wald jagt, als ginge es um sein Leben. Dabei geht es gar nicht um seins, sondern um das des fünfjährigen Tom - oder vielmehr dessen Ableben. Denn Tom liegt tot und blutverschmiert in besagtem Wald. Der Mann, Ben Crawford, will den Nachbarsjungen beim Joggen gefunden haben. Eigentlich widerstrebt es einem, den Sachverhalt so vorsichtig auszudrücken. Schließlich wird Crawford, gespielt von Ryan Phillippe, als treusorgender Familienvater präsentiert, der ehrlich schockiert über seinen Fund zu sein scheint. Allerdings gibt es da auch noch Kommissarin Andrea Cornell und die sieht die Sache ein bisschen anders.

Cornell verdächtigt Crawford von der ersten Minute an, den Jungen ermordet zu haben. Sie hakt nach, wo es erst einmal wenig Grund zum Nachhaken gibt. Wenn die Kommissarin sich bei Crawford erkundigt, was seine Familie für das anstehende Weihnachtsfest geplant habe, klingt das, als würde sie sagen: Besorg dir einen guten Anwalt, Junge, denn du wirst schneller im Gefängnis landen, als du deine überteuerten Joggingschuhe ausziehen kannst.

Der Verdacht zieht ein in die Vorstadtsiedlung

Cornell wird gespielt von Juliette Lewis, die Anfang der Neunzigerjahre mit dem Scorsese-Thriller "Kap der Angst" ihren Durchbruch hatte und in jüngster Zeit vor allem als Sängerin der Rockband "Juliette & the Licks" in Erscheinung getreten ist. Schnell wird klar, dass Cornell die eigentlich interessante Figur der Serie ist. Denn während der unschuldige Dackelblick von Ryan Phillippe schon nach wenigen Minuten auf die Nerven geht, gibt einem die Kommissarin Rätsel auf: Mit makellosem Anzug und strengem Dutt kommt sie daher, die Mimik so starr wie der roboterhafter Gang, das Eindrücklichste an ihr die Mundpartie - wie die Lefzen einer Bulldogge, die jederzeit zubeißen könnte. Klug ist sie, aber empathielos, fast schon autistisch, die wenigen Gefühlsbekundungen wirken aufgesetzt.

Als wäre Cornells stechender Blick ansteckend, zieht nach und nach der Verdacht in die weihnachtlich geschmückte Vorstadtsiedlung ein. Kamerateams belagern Crawfords Haus, die Nachbarn wenden sich gegen ihn. Er, der sonst als Malermeister die Wände weiß streicht, muss nun den roten Schriftzug "Kindermörder" von seinem Garagentor wischen. Mit solch naheliegenden inszenatorischen Einfällen muss man sich bei "Secret and Lies" leider arrangieren.

Die Unstimmigkeiten häufen sich

Dafür gelingt es den Machern immerhin ganz ordentlich, Zweifel zu säen. Der Zuschauer macht den gleichen Prozess durch wie die Figuren um Crawford herum. Eine Unstimmigkeit reiht sich an die nächste: In der Nacht bevor Tom starb, hatte Crawford einen Streit mit seiner Frau, betrank sich danach heftig und kann sich von da an an nichts mehr erinnern. Crawfords Taschenlampe ist auf unerklärliche Weise verschwunden. Und irgendetwas scheint da auch zwischen ihm und der Mutter des toten Kindes gewesen zu sein.

"Die Wahrheit kommt immer ans Licht", droht Kommissarin Cornell dem eingeschüchterten Crawford am Ende der ersten Folge. Originalität hin oder her - wie diese Wahrheit aussieht, will man dann schon wissen.

"Secrets and Lies", ab Mittwoch, 4. Mai, 20:15 Uhr auf Vox.

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