TV-Kritik: "Wetten, dass..?":Schmusen mit Seitenaufprallschutz

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"Nichts drrrrunter" - oder nicht nichts dahinter? Wenn Gottschalk den Po-Test selbst in die Hand nimmt, fühlt sich nicht nur einer wie unter Höhlenmenschen.

F. Seng

Man muss nicht unbedingt fernsehen. Wen der Anblick eines in Komplementärfarben gekleideten Schimpansen, der die Potsdamer City unsicher macht, zu sehr verstört, kann im Internet auf den Beginn von "Wetten, dass..?" warten und dann auch gleich schauen. Die Sendung hat einen eigenen Auftritt bei Facebook, und am Samstag konnten sich Facebook-Nutzer von dort aus zum ersten Mal - parallel zum Live-Stream der Übertragung - über "Tommy" und seine anschmiegsame Assistentin Michelle austauschen.

Angenehm sehen die Küsse von Robbie Williams und Thomas Gottschalk für Moderatorin Michelle Hunziker nicht grade aus. (Foto: Foto: dpa)

Das ist natürlich für junge Leute.

Während ältere Generationen angeblich ein schales Gefühl empfinden, wenn sie zu "Dr. House" ihren Spam-Ordner säubern oder ihre eingebildeten Krankheiten googlen, erscheint dem jüngeren Zuschauer schlichtes fernsehen als passiv verschwendete Zeit, die aktivistisch zu nutzen gewesen wäre. Während im Rücken halbwertiges Fernsehprogramm läuft, lassen sich zum Beispiel online hervorragend halbwertige Freunde pflegen. Etwa diejenigen, die man im Internet kennen gelernt hat und die seitdem alles vollspammen.

Integriertes Unterhaltungserlebnis ohne Nackenschmerzen

Mit dem gestrigen Wetten-dass-Live-Chat und Live-Stream in einem Browserfenster bekommt der moderne Medienkonsument also endlich ein vollkommen integriertes Unterhaltungserlebnis, und das ohne Nackenschmerzen, ohne den Kopf rühren zu müssen. Der Nachteil ist, ständig darauf achten zu müssen, dass einem derselbe nicht im nächsten Augenblick auf die Tastatur knallt. Vor Müdigkeit etwa, oder weil die Kinnlade plötzlich so erdenschwer wurde angesichts der Übertragung aus Braunschweig.

"Es geht um Unterhaltung", schrieb ein Nutzer des Facebook-Chats. Da er kein zwinkerndes Emoticon dahinter gesetzt hat, weiß man nicht, ob er das ernst oder ironisch gemeint hat. Genauso wenig weiß man, ob das ZDF seinen Unterhaltungsauftrag noch ernst nimmt, oder ob man dort "Wetten, dass...?" ohnehin nur noch als Travestie einer Unterhaltungssendung versteht. Eine Sendung, in der man dem altgedienten Fashion-Victim Gottschalk das Zitat seiner selbst - allerdings mit ungebrochenem Lächeln - als Co-Moderatorin verpasst und tatenlos dabei zusieht, wie sich die Show zwangsläufig zu einem Perpetuum Mobile der Peinlichkeiten aufschaukelt.

"Nichts drunter oder nichts dahinter"

Im Mittelpunkt scheint bei "Wetten, dass..?" stets die Frage zu stehen: Klamotte - ja oder nein, und wenn ja, wie viele? "Ich habe nichts drrrrrrunter", sagt Michelle Hunziker in ihrer Anmoderation, als sie in Bademantel und Pantoffeln und zwei möglichen Abendkleidern auf die Showbühne gehuscht kommt. "Aber ich muss jetzt gleich die Stadtwette moderieren!" Jaja, wir verstehen, typisch Frau, wusste mal wieder nicht, welches Kleid sie anziehen sollte. Schlimm bei dieser ganzen Vorstellung ist weniger, dass "nichts drrrrunter", beziehungsweise nichts dahinter steckt. "Es geht um Unterhaltung", erinnert man sich.

Lesen Sie weiter auf der nächsten Seite: Lady Gaga auf der Kuschelcouch und ob Hinterteile in Großaufnahme im Rundfunkvertrag verankert sind.

"Wetten, dass...?"
:Gottschalks Kuriositätensammlung

Bunt, skurril und schräg - von futuristischer Mode und getrennten Eiern: Am Samstag lud Gottschalk auf das rote Plauder-, Kuschel-, Grabbelsofa. Die besten Bilder.

Unterhaltung darf einfach Spaß machen, leicht sein und nicht belasten. Genau das ist jedoch bei "Wetten, dass..?" immer seltener der Fall. Die krampfhafte Fixiertheit der erwachsenen Moderatoren, die sich auf jede schlüpfrige Pointe stürzen wie kleine Kinder auf Schmutzworte in ihrer fäkalverbalen Phase, liegt dann doch schwer im Magen.

Thomas Gottschalk schien stellenweise von seiner eigenen Show überfordert. (Foto: Foto: getty images)

Doch auch die Produzenten der Sendung, die für den Abend den Anbieter der "Po-Abdruck-Wette" einluden, tragen zum unverdaulichen Gesamteindruck bei. Der 25-jährige Student Marlon wettete, dass er fünf von zwanzig jungen Frauen anhand eines Paintbrush-Abdrucks ihres Pos erkennt. "Musste das jetzt unbedingt sein", echauffierte sich Michelle Hunziker dann doch über ihren Kollegen, als der die Reihe der paintgebrushten Damen abschritt, um zu kontrollieren, ob auch alle ihren Namen ordentlich hinten aufgemalt hatten.

Die Lösung wäre Charlotte Roche

Solch kritische Zwischenfragen werfen natürlich noch weitere auf: Etwa ob das Recht auf - wenn auch bemalte - Hinterteile in Großaufnahme irgendwie im Rundfunkvertrag verankert ist? Oder ob man solche Wetten, wenn man sie schon anbietet, nur von Experten hätte moderieren lassen dürfen. Aber Charlotte Roche ist ja leider schon beim NDR.

Es gab durchaus unterhaltsame Momente, die überhaupt nicht übel aufstießen: die zweite Wette mit dem 21-jährigen Pascal etwa, der sich spidermanhaft über fünfzehn fahrende Autos hinwegsetzte. Filmreife Leistung. Sogar die gefühlsmäßig tausendste Baggerwette verblüffte angesichts der spielerischen Leichtigkeit, ganz ohne Rangieren oder Millimeterarbeit, mit der der Baggerführer und spätere Wettkönig Ralf Basketbälle ins Netz beförderte.

In die unvermeidliche Freak-Sparte waren hingegen die erste und letzte Wette einzuordnen: Physikstudent Oliver, der Sätze von schnell rotierenden Rollen entzifferte sowie Yao aus China, die mit Essstäbchen Eier in Eigelb und Eiweiß trennte. Hunziker gewann die Stadtwette gegen Gottschalk, weil sie mehr als tausend Braunschweiger zusammentrommeln konnte, die mit ihr in Zombiekostümen Michael Jacksons "Thriller" tanzen wollten.

Schattenspiele auf Höhlenwänden

"Musste das jetzt unbedingt sein?", war jedoch eine Frage, die man sich gestern öfter stellte. Musste man Sebastian Vettel unbedingt mit seinem Rennboliden Pirouetten drehen lassen, das Fahrzeug zugekleistert mit dem Logo derjenigen Firma, die sich bereits ohne das ZDF eine nervtötende Marketingstrategie leistet? Musste man Nazan Eckes reden lassen, damit sie erzählen kann, sie würde im nächsten Leben gerne als Mann geboren werden, dann könnte sie auch eine so tolle Karriere wie der Sebastian machen?

Manchmal zeigte die Kamera Harald Schmidt, der sich auf der Couch rechtsaußen wohl unbeachtet fühlte. Sein Blick war leer und abwesend, so als würde er sich gerade zurückwünschen in ein unschuldiges Zeitalter ohne Farb- und Tonfernsehen, nur farblose Schattenspiele an den Höhlenwänden, sonst nichts. Oder zurück aufs Traumschiff. Zwischen beiden Vorstellungen besteht womöglich kein großer Unterschied.

Schutzradius in den Hosenbeinen

Für einen unverhofftes Aha-Erlebnis sorgte dagegen kurz vor Schluss der Sendung der Auftritt des Gesamtkunstwerks Lady Gaga. In einer voluminösen Pluderhose, die aussah, als ob in den Hosenbeinen die Drahtgestelle von Reifröcken aus dem Rokoko verarbeitet wären, steuerte sie auf Gottschalks gefürchtete Grapsch- und Kuschelcouch zu und machte gleich klar: "Ich brauche Platz!" Das Kleidungsstück mit aktiviertem Hüftairbag schuf um sie herum einen Schutzradius von etwa einem halben Meter, der Moderator musste draußen bleiben.

Wenn du zu Tommy und Michelle gehst, so ließe sich für zukünftige Sendungen folgern, vergiss den Seitenaufprallschutz nicht.

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