TV-Kritik: Andrea Ypsilanti bei Beckmann:Spätes Glück

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Andrea Ypsilanti lässt sich auch bei ihrem zweiten Auftritt bei Reinhold Beckmann kaum aus der Reserve locken. Der Talkmaster findet sein Glück erst bei gefühligeren Themen.

Paul Katzenberger

Auch im zweiten Versuch ist es Reinhold Beckmann nicht gelungen, Andrea Ypsilanti zu knacken. Erst ein halbes Jahr ist es her, da war die Vorsitzende der Hessen-SPD schon einmal beim ARD-Montagstalker, und schon damals war das Thema dasselbe wie nun wieder - das notorische Vorhaben Ypsilantis, sich entgegen ihres Wahlversprechens mit Hilfe der Linkspartei zur hessischen Ministerpräsidentin wählen zu lassen.

Andrea Ypsilanti bei Reinhold Beckmann: Das Lächeln einer Siegerin. (Foto: Foto: NDR)

Ein Dauerbrenner also, der in der Talkshow Beckmanns inzwischen allerdings mehr langweilt als in der politischen Realität. Denn während sich im hessischen Landtag ja tatsächlich langsam eine Umwälzung der Verhältnisse andeutet, ist der Schlagabtausch zwischen Beckmann und Ypsilanti nahezu identisch mit dem Vorkampf im März. So ist es nicht weiter erstaunlich, dass die durch zahlreiche Regionalkonferenzen und Vier-Augen-Gespräche gestählte Politikerin die Angriffe des Talkmasters locker abfangen kann.

Und dabei gibt sich Beckmann erkennbar Mühe und attackiert sie nahezu im Minutentakt: Sie wolle "mit aller Macht an die Macht", sie sei von "Hybris" befallen, sei von ihrem Wahlerfolg "berauscht" gewesen und "spiele russisches Roulette", haut der Talkmaster auf Ypsilanti ein.

Kühle Konter

Doch das sind Anwürfe, die die 51-Jährige schon zur Genüge kennt - kein Grund also, die Ruhe zu verlieren: Mit liebenswürdiger Raffinesse räumt sie Fehler ein und kontert kühl: Wahlversprechen halte sie auch dann nicht ein, wenn sie auf die Duldung durch die Linke verzichte, denn dann werde es die - versprochene - andere Politik in Hessen nicht geben, so die Logik der Oppositionsführerin.

Auch eine Koalition mit der Linkspartei schließt sie nicht mehr gänzlich aus. Dies sei innerhalb "der nächsten ein, zwei Jahre" möglich, meinte Ypsilanti.

Und überhaupt gehe es ja um "Inhalte", für die sie hart arbeiten werde. Die 61 Prozent der Hessen, die laut Beckmann gegen eine durch die Linke tolerierte Ministerpräsidentin Ypsilanti seien, würden sich da schon schnell wieder umstimmen lassen.

Beckmann hätte noch Stunden in diesem Stil weiter auf der Hessin herumhacken können, ohne sie auch nur ansatzweise unter Druck zu setzen. Ypsilantis PR-Einsatz in eigener Sache am späten Montagabend hätte sich also fast für sie ausgezahlt, doch sie macht die Rechnung ohne den Journalisten Michael Jürgs, der als nächster Gast zu dem Zwiegespräch stößt.

Ohne sich lange mit Höflichkeiten aufzuhalten, gibt der frühere Chefredakteur des Sterns Beckmann dabei eine Lehrstunde, wie man auch einen so charmanten Machtmenschen wie Andrea Ypsilanti in Bedrängnis bringen kann: Knapp und markant hält er der Hessin "Wortbruch" und eine Stärkung der "Partei der Nichtwähler" vor. Ebenso knapp und eindrücklich analysiert er, warum die Tolerierung durch die Linkspartei ein Unding sei, das - so Jürgs - sei schließlich "Verarschung des Wählers".

Beckmann erwärmt sich so sehr an diesem verbalen Beistand, dass Ypsilanti tatsächlich für einige Momente die Hoheit über die Diskussion verliert. Erkennbar angestrengt appelliert sie an das Mitgefühl der Zuschauer - sie habe ihren Fehler doch schon so oft eingeräumt. "Wann?", "wann?" knurrt da Jürgs nur noch zurück.

In eigener Sache

Doch auch der Reporter ist in eigener Sache da. Jürgs, nach eigenem Bekennen ein früherer "Ossi- und Zonen-Hasser", hat ein Buch über eben jene ostdeutschen Mitbürger geschrieben, das soeben auf den Markt gekommen ist.

In "Wie geht's, Deutschland? Eine Bilanz der Einheit" gibt sich der inzwischen 63-Jährige nun aber geläutert: Immer sei der Ossi als armer Verwandter behandelt worden, der Ossi habe keine Vergangenheit, die Einheit habe ihn seiner Illusionen beraubt, so Jürgs' neue Nachdenklichkeit, verknüpft mit einem Appell an die westdeutschen Beckmann-Zuschauer, mit mehr Verständnis auch mehr für das Zusammenwachsen des Landes zu tun.

Natürlich darf da ein Hinweis auf das gesamte Ausmaß von Jürgs' Katharsis nicht fehlen: 1990 hatte er seinen Chefredakteursposten beim Stern verloren, weil er getitelt hatte: "Sollen die Zonis bleiben, wo sie sind?"

Lesen Sie auf der nächsten Seite, warum Talk-Gast Ulrike Folkerts ihr Glück gefunden hat.

Für sich selbst haben die nächsten Gäste diese Frage bereits in jungen Jahren mit einem klaren "Nein" beantwortet: Die Schauspielerschwestern Anja und Gerit Kling waren nur vier Tage vor dem Fall der Mauer aus Ostberlin nach Westdeutschland geflüchtet und schildern nun munter ihre damaligen Abenteuer.

Beckmann blüht sichtlich auf: "Flucht und Trennung von der Familie" - das ist doch ein Stoff für jede Menge Tragik, und die Kling-Sisters verstehen es auch, das ganz gut anzureichern (Uraltes Fluchtauto, ausgelaufener Kanister, schon bei Dresden in Tränen aufgelöst).

Doch je mehr sich dieses Heldenepos seinem Ende nähert, desto mehr wird auch klar, dass sich die damalige Odyssee der beiden Schauspielerinnen auf einen kurzen Aufenthalt im oberpfälzischen Grafenwöhr beschränkte. Dann sind sie ganz schnell wieder in ihrem alten ostdeutschen Leben drin. Viele Emotionen, wenig harte Facts.

Auffällig: Der vorhin noch so engagierte Michael Jürgs schaltet sich erst wieder bei der Analyse ein. Während weder Anja noch Gerit viel zu den Gründen der heutigen Ostalgie einfällt, doziert Jürgs über die Ursachen: Die DDR habe eben weder Arbeitslosigkeit noch Kriminalität genannt, das führe zur jetzigen "Versteinerung".

Bevor es jetzt wieder zu kopflastig wird, bittet Beckmann schnell die nächsten Gäste heran: Ulrike Folkerts alias Tatort-Hauptkommissarin Lena Odenthal zeigt sich erstmals mit ihrer Lebensgefährtin Katharina Schnitzler im deutschen Fernsehen. Beide verströmen das pure Glück, und dazu passt schließlich auch der Titel des jüngsten gemeinsamen Buches "Glück gefunden".

Die Runde räsoniert nun gemeinsam über eine der ältesten Fragen der Menschheit, nämlich was Glück bedeutet. Tiefgang ist da nach Mitternacht nicht mehr zu erwarten, die inzwischen siebenköpfige Runde gackert wild durcheinander. Zumindest Reinhold Beckmann hat in dieser Sendung mit den Kling-Schwestern und der Lebensgemeinschaft Folkerts/Schnitzler noch ein spätes Glück gefunden.

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