TV-Kritik: 68er bei "Beckmann":"Heintje hat ohne Ende genervt"

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"Mama"-Sänger Heintje, Alt-Kommunarde Langhans und CSU-Politiker Beckstein - in der ARD lud Talkmaster Beckmann zum großen 68er-Gedächtnisabend. Wichtigste Erkenntnis: Der Sex ist freier geworden.

Hans-Jürgen Jakobs

Natürlich war 1968 1967. Das war das Jahr, in dem ein Berliner Polizeibeamter namens Kurras den Studenten Benno Ohnesorg erschoss, die Beatles ihr Love-Peace-und-LSD-Album "Sergeant Pepper's Lonely Hearts Club Band" herausbrachten und Hippies in Haight Ashbury einen "Summer of love" feierten. Doch die Welt hat sich darauf verständigt, die Kulturrevolte der Studenten auf 1968 zu datieren, was in diesem Jahr gut passt, weil man so in fröhlicher deutscher Eintracht 40-Jähriges feiern kann.

Im 68er-Fieber: ARD-Talker Reinhold Beckmann (Foto: Foto: AP (Archiv))

Da darf nun jeder, der damals bis fünf zählen beziehungsweise "Mama" singen konnte, in den Medien auftreten - die sich mit TV-Dokumentationen, Radiofeatures, Zeitschriftenserien und Zeitungskolumnen zum Thema geradezu überbieten. So kam die Welle auch am späten Montagabend zum ARD-Talker Reinhold Beckmann, dem unermüdlichen Zeitgeschichtsforscher, den nichts so interessiert wie das eigene Vorurteil und die echte emotionale Aufwallung in seinem Studio.

Irgendjemand war auf die Idee gekommen, ein besonderes Gipfeltreffen zu arrangieren - zwischen dem Altkommunarden Rainer Langhans nebst seinen vier Freundinnen, die als "Harem" seit einigen Jahren im deutschen Medienwesen vermarktet werden, und dem singenden Holländer Hein Simons ("Heintje"), der hier als "Bote der heilen Welt" erschien, weil er 1968 im Alter von Zwölf mit "Mama" und "Heidschi Bumbeidschi" ganz oben in der Hitparade war.

"Ich war nicht so brav"

Da saßen sie also, 40 Jahre später, bei Fernsehonkel Beckmann, waren nett zueinander und erzählten von den guten alten Zeiten. Welchen Beruf sie denn hätten, fragte Heintje einmal die Langhans-Gruppe und bekam als erstaunte Antwort: "Wir sind Kreative!"

Ja, klar, es ist jetzt ein Bildband zur Kommune 1 erschienen sowie ein Memoiren-Buch der Langhansfreundinnen Gisela Getty und Jutta Winkelmann, die allesamt noch auf die kreative Promotion durch "Beckmann" gewartet haben. Und es musste noch einmal gesagt werden in diesem Jubiläumsjahr, was die Revolte vor 40 Jahren wirklich gebracht hat.

Das war, wie Beckmann erfreut vernehmen durfte, der freiere Umgang mit Sex. Hier hat sich Heintje ohnehin verkannt gefühlt, schließlich war er beim ersten Mal erst 14, wie er noch einmal bekannte. "Ich war nicht so brav wie mein Image", erzählte der Kinderstar und freute sich, dass er bei heutigen Liederabenden gleich drei Generationen beglücke, wobei die Vorstellung ein wenig gruselt, dass er bei solchen Gelegenheiten wirklich immer noch "Mama" singt. Das ist fast zum Weinen.

Hein Simon, der heute mit Familie bei Aachen auf einem Reiterhof lebt, gab auch das damalige Bonmot über die Stundentenprotestler in seinem konservativen Umfeld zum Besten: "Wenn die hart arbeiten müssten, kämen die nicht auf solche Gedanken."

Lesen Sie auf der nächsten Seite, welche Geständnisse Beckmann dem bayerischen Ministerpräsidenten Günther Beckstein entlockte.

Rainer Langhans proklamierte beim 68er-Gedächtnisabend, dass "die ewige Zweiergeschichte längst weg" sei, dieses Glücklichseinwollen in der kleinen Zelle von Mann und Frau. Es sei ja auch nie um wildes Treiben im Bett gegangen, das seien Projektionen der Medien gewesen, sondern vielmehr sei eine allgemeine Zärtlichkeit das Ziel gewesen. Das sagt er seinen vier Stammfreundinnen auch immer wieder, und die bekannten, sich schon einmal geschlagen zu haben und im Übrigen alle in eigenen Wohnungen zu leben. Langhans enthüllte noch, dass Heintje damals "ohne Ende genervt habe".

Hinter der Angst - das Leben

Der graugelockte Wiederkäuer seiner Erinnerungen, im Habitus eines Gurus auftretend, erzählte auch, wie er nach der Zeit der Studentenunruhen wissen wollte, wer er wirklich sei. "Hinter der Angst ist das Leben", war eine Erkenntnis, und er sagte: "Uschi will heute nichts mehr davon wissen." Uschi, das ist Frau Obermeier, das wilde schöne Münchner Girl und die Langhans-Partnerin in Kommune-1-Zeiten. Auf die Jahre, oder besser Monate mit dem langjährigen Model wird Langhans in der Öffentlichkeit immer wieder gern reduziert.

Irgendwann gewannen er und seine vier Begleiterinnen in der ARD die Einsicht, dass die sechziger und siebziger Jahre ihre starke Zeit war - und dass haben sie mit Hein Simon tatsächlich gemeinsam. Bei Heintje kam der Stimmbruch, bei Rainer Langhans die Selbstfindung. Heute lebt er auch von einer kleinen Rente, die ihm der Staat für seine Bundeswehrzeit zahlt und braucht nach eigenen Worten wenig zum Leben. In der ARD wird er zu Klängen von The Doors und Jimi Hendrix präsentiert.

Bevor am Montag Heintje zu Beckmann kam, hatte der kultivierte Moderator den bayerischen Ministerpräsidenten Günther Beckstein, 64, auf Langhans treffen lassen. Der 67-Jährige insistierte, was denn mit Gabriele Pauli gewesen sei, warum sie aus der CSU so rausgeekelt worden sei. Da antwortete der Politiker, sie sei im Gespräch nicht mehr einzufangen gewesen und prägte den Satz: "Sie hat eine Lawine losgetreten, aber sie war nicht die Lawine."

Beckstein: "Absoluter Klamauk"

Beckstein sprach bei Beckmann unglaublich oft davon, wie "unglaublich fordernd" sein neuer Job sei. Er bekannte, dass durch die 68er "falsche Antworten beiseite geräumt" worden seien, dass sich die Deutschen in Fragen der Nazis also nicht mehr in die Tasche logen.

Mit der Langhansschen Einschätzung, es sei auch generell darum gegangen, freier zu leben und einen "neuen Menschen" zu schaffen, kann der Mann von der CSU freilich nichts anfangen. Das sei ihm ein "völlig fremder Ansatz", das hätten er und seine Gleichgesinnten damals für "absoluten Klamauk" gehalten. Für ihn seien Werte wichtig, zum Beispiel Leistungsbereitschaft und Treue. Das sei der Grund, weshalb er sich politisch engagiere.

Und so hat der Jurist Beckstein, der sich in der evangelischen Kirche engagiert, richtig Karriere gemacht. Er arbeitet von früh bis spät - "Beckmann" verließ er vorzeitig - und muss nicht von Erinnerungen an eine Zeit leben, in der Wasserwerfer Demonstranten verscheuchten, Schüsse fielen, ein nackter Busen noch Provokation war und die Gitarrenklänge seltsam langgezogen jaulten. In der sie den Strand unter dem Pflaster suchten und die Spießigkeit in Deutschland ihr Zuhause hatte. In der die Jukebox "Mama" spielte und es Rainer Langhans und Uschi Obermeier in die Illustrierten schafften.

Das waren noch Zeiten, mit ganz viel Heidschi Bumbeidschi Bum Bum. Und nun feiert mal schön weiter. Das Jahr hat noch viele Tage.

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