Tschechische Fotografie:Des Menschen Welle

Von der Lust am Alltäglichen: Die Kunst- und Ausstellungshalle in Bonn zeigt faszinierende tschechische Fotografie des 20. Jahrhunderts. Die Bilder.

Fritz Göttler

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Von der Lust am Alltäglichen: Die Kunst- und Ausstellungshalle in Bonn zeigt tschechische Fotografie des 20. Jahrhunderts. Die Bilder. "Das Leben ist wie eine Wellenlinie", schrieb Frantisek Drtikol, einer der ganz großen Meister der tschechischen Fotografie, in sein Tagebuch. "Hätte der Mensch einen starken Willen, müsste er sich sein Leben als waagrechte Welle einrichten."Er schrieb dies Ende 1914, zehn Jahre später, 1925, hat er dann "Die Welle" geschaffen, eins seiner berühmtesten Fotos, eine Frau, die ihren Körper zur Brücke hochstemmt und in diesem Moment der Anstrengung doch wellenhafte Entspanntheit schafft. Ein singuläres Bild im Werk des Fotokünstlers, der sonst die Körper rektangulär komponiert, in kräftigen Strichen.Foto: Frantisek Drtikol/Wave, 1925Text: Fritz Göttler/SZ vom 21.07.2009/jeder/rus

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Poetismus, Konstruktivismus, Neue Sachlichkeit, Bauhaus, Dadaismus, Surrealismus, Collage, Happening, Konzeptkunst . . . Die europäische Avantgarde tauscht sich rege aus, und die tschechischen Fotografen haben alles aufgegriffen in Prag oder in Brno - Vladimír Birgus und Jan Mlcoch stellen das detailliert dar in ihrem Katalogbuch "Tschechische Fotografie des 20. Jahrhunderts", zur Ausstellung in der Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland in Bonn.Foto: Dita Pepe/Aus dem Zyklus "Selbstporträts mit Frauen", 1999-2000

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Auffällig ist der starke Wille zur Abstraktion in diesen Arbeiten, eine Lust die Realität zu bearbeiten, nicht nur im Atelier - die erotischen Arrangements, die Bildgedichte, das Menschen-Alphabet von Vítezslav Nezval und Karol Teige -, sondern auch in den Landschaften draußen, den natürlichen oder den industriellen.Foto: Jaromír Funke/From the Time Persists serie, 1932

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"Die Schönheit der Fotografie ist von jener Art wie auch die Schönheit eines Aeroplans oder eines Transatlantik-Schiffes oder einer elektrischen Glühbirne", schreibt Karel Teige, aber dann dreht er sich weg vom Futurismus, der hier anklingt: "Das Werk einer Maschine und zugleich der Arbeit von Menschenhänden, eines Menschenhirns und, wenn Sie wollen, auch eines Menschenherzen."Foto: Josef Sudek, © Anna Fárová/The Last Rose, from the Rose series, 1956

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Das Menschliche und das Mechanische, bei Eugen Wiskovský ist diese Verschraubung besonders sinnlich, die Detailaufnahmen moderner Alltagsobjekte sind manchmal von den kühnen Perspektiven auf Bauten und Landschaften kaum zu unterscheiden. "Mondlandschaft (oder Kragen)" heißt eins dieser Rebus-Bilder.Foto: Eugen Wiskovsky/Lunar Landscape (or Collars), 1929

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Das alles jedoch ohne Spur eines Mysteriums. "Es bringt uns nämlich nicht weiter, die rätselhafte Seite am Rätselhaften pathetisch oder fanatisch zu unterstreichen", schreibt Walter Benjamin in seinem Text über den Sürrealismus, "vielmehr durchdringen wir das Geheimnis nur in dem Grade, als wir es im Alltäglichen wiederfinden, kraft einer dialektischen Optik, die das Alltägliche als undurchdringlich, das Undurchdringliche als alltäglich erkennt."Foto: Jaroslav Rössler; © Sylva Vítová-Rösslerová/Untitled, 1931

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Der Surrealismus scheint in der Tat weniger aufgeregt in Prag als in der Hauptstadt Paris, mit klaren Linien und Konturen - schon deshalb, weil der permanente Zwang zur Erklärung, zur Begründung, zur Theorie fehlt, unter den die Leute um Breton sich setzen. Und der Surrealismus wirkt nach, das Jahrhundert lang, bei den tschechischen Fotografen, durch Krieg und Nachkrieg, in den Prager Frühling hinein und weiter nach dem Ende des Sozialismus. Und in Tono Stanos "Sinn", 1992, taucht dann - gekippt - die Welle von Drtikol wieder auf.Foto: Tono Stano/Der Sinn, 1992

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In den Dreißigern haben Künstler auf der Flucht in Prag Station gemacht - Heartfield hat eine Neuauflage des "Schwejk" collagiert -, dann hat die Besetzung des Landes, später das sozialistische Regime das Arbeiten eingeschränkt.Foto: Evzen Markalous/Gelächter, Collage, 1926

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Zu den großen Momenten dieses Bandes aber gehören "Totaleinsatz" von Zdenek Tmej - er wurde 1942 zur Zwangsarbeit bei der Eisenbahn in Deutschland eingezogen, fotografierte heimlich den Alltag im Lager, wenn die Aufseher abgelenkt waren -, und der Zyklus "Invasion" von Josef Koudelka. Er war Theater- und Dokumentarfotograf, ging in den Tagen nach dem Einmarsch 1968 auf die Straße, machte Tausende Aufnahmen, von denen einige hinausgeschmuggelt von der Agentur Magnum veröffentlicht wurden. Rauch und Staub treiben durch die Straßen, aber was für eine Klarheit ist in diesen Bildern!Vladimír Birgus, Jan Mlcoch: Tschechische Fotografie des 20. Jahrhunderts. Hrsg. Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland in Bonn, KANT Publishing Prag 2009. 359 Seiten, 451 Abbildungen. In der Ausstellung 29 Euro. Ausstellung bis 26. Juli.Alle Bilder stammen aus der Ausstellung derKunst- und Ausstellungshalle Bonn.Foto: Arnoltice/From the Village Life series, 1985

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