Der Kulturkorrespondent der SZ lebt in New York, derselben Stadt wie Donald Trump. Weil die Überraschung nach der Wahl dort besonders groß war, schreibt er an dieser Stelle eine tägliche Kolumne.
Wie man es selbst in einer "liberalen Blase" wie New York schon mitkriegen konnte, was da kommen würde? Sogar in einer so superlinksliberalen Extremblase wie Park Slope in Brooklyn? Dank Airbnb.
Die Wohnung über der des Kulturkorrespondenten wird von den Vermietern als Ferienwohnung vermarktet. Die Hauptkundschaft besteht aus älteren Ehepaaren aus der Provinz, die ihre Kinder in der großen Stadt besuchen, meistens weil die wiederum selber gerade ein Kind bekommen oder gerade bekommen haben. Es ist eine sehr fruchtbare Gegend. Ein bisschen wie Prenzlauer Berg in Berlin. Oder sogar exakt genauso. Es ist das Prenzlauer Berg von New York. Ähnlich wie dort kann man morgens diese älteren Herren bettflüchtig in den Straßen stehen sehen, die Speisekarten in den Fenstern geschlossener Restaurants studieren, die Preise bekopfschütteln.
Es herrscht große Plauderbereitschaft bei diesen Leuten. Sie haben Zeit, tragen die Freundlichkeit der amerikanischen Kleinstadt in sich, und oft hatten sie interessante Karrieren; Rechtsanwälte sind dabei, Ärzte, neulich ein hoher Offizier aus Virginia, der viel von der Welt gesehen hatte, darunter auch Rämstien, also Ramstein. Wenn das Gespräch irgendwann auf Trump kam, riss es meistens ab. "War eine angenehme Unterhaltung bis hier hin", sagte zum Beispiel der Offizier - und lächelte sehr süß, dann musste er plötzlich los, zum Enkelkind.
Man kann ahnen, wie es den Meinungsforschern so ergangen ist in den letzten Monaten.
Man kann allerdings nun auch ahnen, was zwischen solchen Eltern und ihren brooklynisierten Kindern jetzt los sein wird. Fraglich ist, ob dieses Jahr zu Thanksgiving nur die Truthähne mit dem Tranchiermesser bearbeitet werden. Dass Essen etwas Verbindendes hat, ist nämlich seit der Wahl offenbar auch hinfällig. In der Bar Tabac in Boerum Hill, drei Stationen mit der Subway von Park Slope entfernt, hat am Wochenende ein Mann einer fremden Frau mit der Faust ins Gesicht geschlagen, berichten die Daily News.
Der Mann war essen mit seiner Gattin, am Nebentisch diskutierten zwei Frauen die Wahl, es fielen kritische Worte über Trump, daraufhin schmeckte dem Ehepaar sein Essen nicht mehr, er wollte die Frauen wegsetzen lassen. Und das in der hübschen Bar Tabac, die so tut, als sei sie in Montparnasse! Die Zeitung merkt, ein bisschen im Stil der kopfschüttelnden Rentner vom Lande an, dass das Steak mit Pommes frites hier 26 Dollar kostet. Kann schon sein, dass politisch unliebsame Nebentischgespräche bei so einem Preis zu doppelt großer Erbostheit führen. Am Ende dann der Faustschlag. Dass geheimnisvoll gelächelt und lieber fein der Mund gehalten wird, wenn das Gespräch auf Trump kommt: Das ist seit der Wahl nun auch definitiv vorbei.