Salzburger Osterfestspiele:Im Gefühlssturm 

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Für den israelischen Choreografen Emanuel Gat ist Richard Wagner "ein Revolutionär". Szene aus "Träume" bei den Salzburger Osterfestspielen. (Foto: Erika Mayer)

Erstmals gibt es einen Tanzabend bei den Salzburger Osterfestspielen: Emanuel Gats "Träume" macht Lust auf mehr.

Von Dorion Weickmann

Tanz ist nicht jedermanns Sache. Richard Wagner beispielsweise hielt ihn zwar "für die realste aller Kunstarten". Aber außer dem Bacchanal im "Tannhäuser" haben Bewegungskünstler mit seinen Werken kaum etwas zu schaffen. Eine Ausnahme blieb die Choreografin und Regisseurin Ruth Berghaus, deren grandiose Inszenierungen von "Parsifal" oder "Tristan und Isolde" im späten 20. Jahrhundert Operngeschichte schrieben.

Neuerdings sind es vor allem Choreografen aus Israel, die für Annäherung von Tanzsphäre und Wagner-Kosmos sorgen - trotz oder gerade wegen der antisemitischen Propaganda aus der Feder des Komponisten. 2012 unternahm Saar Magal mit "Hacking Wagner" im Münchner Haus der Kunst den ersten derartigen Vorstoß, jetzt hat die Wagner-Welle die Salzburger Osterfestspiele erreicht: Emanuel Gat, Israeli mit Wohnsitz in Südfrankreich, montiert mit seinem vierzehnköpfigen Ensemble bildschöne "Träume" in die Felsenreitschule. Betitelt nach dem fünften und letzten der Wagner'schen "Wesendonck-Lieder", verwandelt das gut einstündige Stück den ohnehin magischen Ort in eine Kunstkathedrale.

Zwei Samtkanapees leuchten im Halbdunkel der Breitwandbühne. Auf dem einen ruht eine Gestalt, das Gewand so rot wie der Stoff des Mobiliars. Mensch und Material scheinen ganz irdisch zu verschmelzen, während in den Arkaden der Hinterwand eine Engelsfigur erscheint und zu sprechen beginnt: "Nichts wird gemacht in der Geschichte, alles macht sich selbst." Und schon schreitet der weiße Seraph durch den Bogengang Richtung Treppe, wo sich ein Dutzend weitere Himmelsboten ihm zugesellen. Wie auf der Jakobsleiter stehen sie, Wanderer zwischen den hehren Gefilden der Kunst und dem allzu menschlichen Dasein: dem Triebleben, in das sie gleich eintauchen werden.

Genau wie es der ausgemachte Narzisst Richard Wagner vor mehr als eineinhalb Jahrhunderten tat. Im Exil am Zürichsee feilte er an der Schrift "Die Kunst und die Revolution", techtelmechtelte unter den Augen seiner Gattin Minna mit Mathilde, der Frau des Gastgebers Otto Wesendonck, der dem aus Sachsen geflüchteten Paar freie Kost und fürstliches Logis bot.

Gedichte, von der Dame des Hauses zu Papier gebracht, vertonte Wagner 1857/58 zu jenen fünf "Wesendonck-Liedern", die Emanuel Gats Choreografie eher auslegt als bebildert. Während ein Liebesduett auf Abstand bleibt - Milena Twiehaus rezitiert Wesendoncks lyrisches "Treibhaus", Michael Loehr Passagen aus dem Revolutionstext -, gleicht der Tanz einem assoziativen Strom, aus dessen Tiefe bewegte Skulpturen, diagonal geordnete Körper-Friese oder chorische Ausdruckscluster emporwachsen. Überhaupt bildet das expressive Moment, die esoterische Note gleichsam den Untergrund, auf dem diese "Träume" wie verschlungene Wasserpflanzen gedeihen.

Der Israeli Emanuel Gat ist einer der besten Gegenwartschoreografen

Bis die Akteure im zweiten Teil des Abends aus den weißen Kostümen schlüpfen und in raschelnden Taftroben wiederkehren. Aus dem Off rollen die "Wesendonck-Lieder" wie Wellen heran, eine Aufnahme mit Julia Varady von 1998 faltet die Melodien zu dramatischen Gebirgen auf. In den Pausen dazwischen knistern die Kleider, als würden Krinolinen und ellenlange Schleppen gerafft.

Sogleich setzt sich die Mehrheit der Tänzer aufs Kanapee, um das theatralische Treiben der zwei, drei, vier anderen zu beobachten, die einander wie Blüten umgarnen und umarmen. Oder die Stirn bieten, bis der Mann die Frau bezwungen hat und ein Gefühlssturm alle erfasst und hinwegfegt. Wie ein Orkan treibt die Musik die Tänzerschar in eine Spirale hinein und zuletzt auf die Treppe zurück. Da stehen sie dann, ein Dutzend Menschen und die Fata Morgana des hohen Paars: zwei Köpfe, zwei Körper im Zentrum des Raums, von flackerndem Licht modelliert, bis der Doppelorganismus im Dunkeln erlischt.

Emanuel Gat ist nicht nur einer der besten Gegenwartschoreografen, sondern auch ein versierter Fotograf. Sein Talent für Sinnliches, für Wahrnehmungen jenseits gängiger Schablonen verdichtet sich auch in den Choreografien, die der Zweiundfünfzigjährige für seine eigene Company entwirft. Dabei sieht er sich selbst eher als Anreger und Supervisor, Ansagen sind seine Sache nicht. Zuletzt hat er "Lovetrain2020" und damit den Achtzigerjahre-Sound von Tears for Fears durch ganz Europa gejagt - was fasziniert ihn jetzt ausgerechnet an Wagner? Die Antwort kommt prompt: "Egal, was Wagner sonst verzapft hat - als Komponist war er wegweisend. Ein Revolutionär."

Pionierarbeit leisten auch Gats "Träume". Denn mit ihnen hat Nikolaus Bachler, Leiter der Salzburger Osterfestspiele, zum ersten Mal Tanz ins Programm geholt. Was sich als hervorragende Idee erweist. Fortsetzung empfohlen.

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