Tilman Spengler: "Sind Sie öfter hier?":Verbale Amputationen

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Von der Kunst, ein kluges Gespräch zu führen: Tilman Spengler schreibt über das deutsche Unglück der Konversation und wird selbst dessen Opfer.

Tobias Lehmkuhl

Manchmal möchte man am liebsten die Ohren verschließen. Ob im Flugzeug, im Café oder beim Fernsehgucken: Nirgends ist man sicher vor dummem Geschwätz, belanglosem Salbadern oder kläglicher Konversation. Selten einmal lauscht man gerne, wenn zwei sich unterhalten. Denn ein kluges Gespräch zu führen, ist nicht einfach, und gerne wüsste man selbst, wie es funktioniert. Eine genaue Gebrauchsanweisung wird es dafür zweifellos niemals geben, denn zu viele Faktoren bestimmen den Verlauf einer Unterhaltung. Und so kann es, nähert man sich dem Thema philosophisch, um nichts anderes gehen als eben um die rechte Haltung. Wie verhält man sich zu seinem Gegenüber, und wie verhält man sich der Sprache gegenüber?

"Ich möchte nicht unhöflich erscheinen, aber ich wäre jetzt ganz gerne allein." Kaum einer verbildlicht kommunikative Unglücke so schön wie Loriot. Tilman Spengler ist über lustige Beispiele kaum hinausgekommen. (Foto: Foto: oH)

Dass es mitunter und sogar recht häufig an einer interessierten, aufgeschlossenen Einstellung, noch häufiger aber an dem Willen mangelt, der Unterhaltung sprachlich eine so präzise wie elegante Form zu verleihen, bedauert Tilman Spengler in seinem neuen Buch "Sind sie öfter hier?" ganz zu Recht. "Von der Kunst, ein kluges Gespräch zu führen", wie es der Untertitel verspricht, erfährt man allerdings recht wenig - und schon gar nichts über die "historischen Zwischenstationen" des angeblich speziell deutschen "Unglücks" mit der Kunst der Konversation. Was Spengler für ein kluges Gespräch hält, erschließt sich vielmehr ex negativo. Anekdotenhaft breitet er Beispiele misslungener Unterhaltung vor dem Leser aus, lustig bisweilen, und sprachlich in durchaus erlesener Form.

So erzählt Spengler etwa, wie eines Abends die Rede auf Hitlers Hoden kommt. Ein bekannter Historiker ist anwesend, und er scheint die anderen Gäste mit seiner trockenen Erzählweise ein wenig zu langweilen. Also greift eine Nachfahrin Winifred Wagners ein und berichtet von einem Hoden Hitlers, der in einer kleinen Phiole konserviert auf dem Kaminsims gestanden habe. Jeden 20. April habe "die Omi" Usambaraveilchen neben die Phiole platziert, denn "Hitler hasste ja Schnittblumen". Der Historiker, zutiefst beeindruckt, verschwindet sogleich, um diese Neuigkeit für die Nachwelt festzuhalten. Doch damit nicht genug: Spengler berichtet weiter, wie die Wagnerenkelin einige Zeit später einer Publizistin von eben jenem leichtgläubigen Historiker und seinem Hang zu Hitlers Hoden erzählt. Worauf die Publizistin, leicht zerstreut, bemerkt habe: "Er hat tat-säch-lich die Phiole mit Hitlers ... geschluckt?"

Eine gelungene Geschichte, durchaus: Bei einem abendlichen Small Talk, charmant präsentiert, wäre ihr der Erfolg gewiss. Ein ganzes Buch lang tragen solche Anekdoten freilich nicht. Überhaupt trägt "Sind Sie öfter hier?" einen gewissen Beigeschmack: Mehrmals kommt Spengler darauf zu sprechen, wie wichtig es in der Tat sei, den richtigen Ton zu treffen. Er selbst aber trifft ihn längst nicht immer. Den Hoden-Historiker etwa ertappt er dabei, wie ein "diabolisch mokantes Lächeln", so Spengler, "eine Bogensekunde zu nachdrücklich" um die "so weiten wie schmalen Lippen" spielt.

Das wirkt leicht überheblich und wäre nicht weiter schlimm, würde der Autor seine Figuren nicht ganz gerne mal ein wenig von oben herab behandeln. Selten erwähnt er, wie gesagt, gelungene Beispiele zwischenmenschlicher Kommunikation, meist sind es sprachliche Fehler oder kommunikative Unfälle, mit denen er sich beschäftigt. Kaum einmal, dass sie ihm selbst unterlaufen und zustoßen; Spengler präsentiert sich über den Dingen erhaben. Entsprechend reiht sich bei ihm eine mit Bildungsreminiszenzen gespickte Abschweifung an die nächste: um chinesische Gefängnisse geht es da, ums Blogging, den sogenannten Kummerbund oder eben um die Eier des Braunauers.

Das eigentliche Thema wird kaum je direkt ins Auge gefasst, und häufig geht der Blick ganz daran vorbei: Trauer- oder Lobreden etwa, denen Spengler ganze Kapitel widmet, tragen eben nur selten Konversationscharakter. Sie bieten dem Autor allerdings Anlass zu geistreichen Bemerkungen, die in ihrer Massierung dann jedoch wie bloße Geistreichelei wirken. Und so etwas wirkt nicht nur in einem Gespräch störend.

TILMAN SPENGLER: Sind Sie öfter hier? Von der Kunst, ein kluges Gespräch zu führen. Ullstein Verlag, Berlin 2009. 176 Seiten, 18 Euro.

© SZ vom 14.7.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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