Theater:Zunächst gibt man sich kultiviert

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Regisseur Krzysztof Warlikowski hat die 4000 Seiten von Prousts "Recherche" für die Ruhrtriennale auf fünf Stunden verknappt - und die berühmteste Szene mit Madeleine fehlt.

Von Egbert Tholl

Keine Madeleine. Die berühmte Szene, vielleicht die berühmteste in den weit mehr als 4000 Seiten der "Suche nach der verlorenen Zeit", fehlt. Fünf Stunden Marcel Proust auf dem Theater und keine Madeleines, man könnte meinen, das ist ein starkes Stück. Im Nachhinein ist man sich gar nicht mehr ganz sicher, ob von dem kleinen Gebäckstück nicht doch die Rede war. Aber nein, es kann nicht sein, weil: In jener Szene erinnert sich der Proustsche Erzähler beim Geschmack des in Lindenblütentee getauchten Küchleins an längst Vergangenes, wird das Erlebnis eines Genusses zur tragenden Säule einer Erinnerung und die Szene selbst zur Beschreibung des Vorgangs des Erinnerns. Doch genau dieser Vorgang spielt hier eigentlich keine Rolle, da die Aufführung das Erinnerte zum unmittelbaren Geschehen erhebt. Hier erlebt man nicht die Imagination einer Welt, sondern diese Welt selbst, als monströse, überbordende, krass durchgeformte Reportage.

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