Theater:Würdevolle Grandezza

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Das Sterben ist noch lange kein Grund, die Contenance zu verlieren: Dagmar Manzel spielt in Berlin mit größtmöglicher Eleganz Becketts "Glückliche Tage".

Von Peter Laudenbach

Das Sterben ist noch lange kein Grund, die Contenance zu verlieren. Winnie begrüßt jeden Tag mit einem erfreuten Seufzer, auch wenn sie sich kaum noch bewegen kann und ihr Gatte Willie hinter ihr in seiner Erdhöhle dem Tod entgegendämmert. Seit der Uraufführung von Becketts Zweiakter "Glückliche Tage" vor gut einem halben Jahrhundert ist die in ihrem Erdhaufen eingeschlossene Winnie eine ikonografische Figur des Theaters. Die Existenz-Komödiantin vertreibt sich die Zeit und das Warten auf den Tod mit entschlossen gepflegten Plauder-Künsten und einer Abfolge sorgsam kultivierter Rituale mit Spiegel, Wecker, Kamm und Medizin.

Dagmar Manzel spielt sie jetzt am Deutschen Theater Berlin mit größtmöglicher Eleganz und einer Heiterkeit, die in jedem Moment um das mit grausamer Langsamkeit nahende Ende weiß. Die Verzweiflung ist dazu da, überspielt zu werden, und sei es mit einer Spieluhr, die einen berühmten Walzer aus Lehárs "Die lustige Witwe" spielt: "Lippen schweigen ..." Und weil Winnies Gatte Willie (Jörg Pose) irgendwann keinen Laut mehr von sich gibt, ist das natürlich eine Andeutung dessen, was ihr als Witwe auch bald bevorsteht.

Manzels strahlendes Spiel hat nichts mit Verdrängung und viel mit dem Wissen darum zu tun, dass Selbstmitleid der Restlebenszeit die Würde nehmen würde. Dass das Leben zu einer Abfolge quälend leerlaufender Tage geschrumpft ist, wird mit der Souveränität der Grande Dame als Herausforderung angenommen: nur keine Schwäche auf den letzten Metern. Manzel kostet ihre Vokale mit Hingabe aus, jeder Satz eine kleine Sprecharie. Ihre Winnie genießt die großen Gesten, solange sie noch dazu fähig ist. Weil es entschieden unter ihrer Würde wäre, sich etwas vorzumachen, malt sie sich illusionslos aus, wie ihr erst die noch möglichen Bewegungen und dann die Worte ausgehen werden. Das hat in Christian Schwochows Regie gleichzeitig eine tolle Grandezza und eine schöne Lebensklugheit: Wenn schon jeder Tag ein Schritt in Richtung Tod ist, kann man die Folge lauter letzter Tage ja wenigstens mit Anstand genießen. Der berühmteste Erdhaufen der Theatergeschichte ist dafür nicht mehr nötig: Manzel genügt als Existenzgefängnis ein Stuhl vor einer verspiegelten Wand.

© SZ vom 25.04.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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