Theater:Unbelecktes Verhängnis

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Die Herdmann-Geschwister Leo (Hardy Punzel) und Eugenia (Anne Bontemps) haben die Rollen von Maria und Josef an sich gerissen. (Foto: Judith Buss)

Wie ein paar Teenager ein Krippenspiel aufmischen, zeigt Marcelo Diaz' drastisches Stück an der Schauburg. "Hilfe, die Herdmanns kommen!" basiert auf einem Jugendbuch aus den Siebzigern

Von Barbara Hordych

Als wenn Leif (Klaus Steinbacher) es nicht geahnt hätte: "Der Hanns-Seidel-Platz ist No-Go-Area, da hängen die Herdmanns rum", entgegnet er seiner Mutter, als die ihn bittet, mit seiner Schwester Tina schnell noch Waschmittel holen zu gehen. "Das sind keine Menschen, das sind Monster." Es kommt wie befürchtet: Die Herdmanns hängen tatsächlich am Platz herum, umzingeln die braven Geschwister und kurz darauf gibt es "Leise rieselt der Schnee einmal ganz anders", wie die Herdmänner und Herdfrauen höhnisch verkünden: Sie leeren die Packung Waschmittel über "Tinachen" (Helene Schmitt) und ihrem jüngeren Bruder Leif aus.

Wie viele Angreifer es eigentlich sind, fünf, sechs oder neun, weiß niemand so ganz genau, da sie in der Inszenierung "Hilfe, die Herdmanns kommen!" von Regisseur Marcelo Diaz in ihrer wilden Gesamtheit - zunächst - kaum voneinander zu unterscheiden sind. Es ist ein wenig wie mit Michael Endes "Scheinriesen" in "Jim Knopf und Lukas, der Lokomotivführer": Je größer die Entfernung zu den Herdmann-Kindern ist, desto bedrohlicher wirken sie. Der Übergriff markiert sofort die klaren Fronten zwischen den "asozialen" Herdmann-Kindern und den "Anständigen" in der Bühnenadaption des gleichnamigen Jugendbuchs der US-Autorin Barbara Robinson aus dem Jahr 1971, in der es um soziales Gefälle und das - gestörte - friedliche Nebeneinander in einem kleinen Städtchen geht.

Der Schauplatz wurde in der Schauburg, in der das Stück nach der Premiere im Oktober von Samstag, 22. Dezember, an wieder auf dem Spielplan steht, ganz konkret in München verortet. Einer reichen Stadt also, in der die Statistiken dennoch von Kinderarmut zeugen. Die Bühne hat Anja Furthmann sehr klug mit einer Konstruktion ausgestattet, die mit dehnbarem Gestänge mal als abstrakter moderner Kirchenraum funktioniert, mal als käfigartiges Zuhause oder auch als Boxring dient.

Sie seien "kein Problem, sondern eine Plage" stellt die von fünf (so viele sind es wirklich) Herdmann-Kindern und einer riesigen Katze ("eher ein Luchs") getriezte Lehrerin fest. Entsprechend groß ist das Entsetzen, als diese "Monster" beschließen, sich wegen des Gratiskuchens an den Proben für das Krippenspiel zu beteiligen. Mit Drohungen kapern sie die Hauptrollen für sich: Statt der artigen Tina bringt sich die von Anne Bontemps herrlich ruppig verkörperte Eugenia als Muttergottes ins Spiel - und ihr Bruder Leo (Hardy Punzel) steuert als Josef prächtigen Bethlehem-Rap bei.

In mitreißendem Tempo ist die Geburtsstunde eines Krippenspiels zu erleben, in dem die Herdmanns ihre ganz eigene Version des Geschehens entwickeln. Nach einem verständnislosen Blick der nicht gerade bibelfesten Eugenia auf die Krippe fragt Tinas Mama (Simone Oswald) ganz pädagogisch: "Was würdet ihr denn machen, wenn ihr kein Bett für das Baby hättet?" Eugenia, im Zuge eines "unbeleckten Verhängnisses" als Maria "fucking schwanger", schöpft aus ihrem eigenen Erfahrungsschatz. "Wir haben eine Schublade genommen, als Hedwig geboren wurde." Die so witzige wie drastische Textfassung, die auch "F-Wörter" nicht scheut, fegt jedes Stäubchen von der literarischen Vorlage.

Die Herdmann-Kinder gehen sogar so weit, eine neue Rolle in das Spiel einzuführen, als sie vom Mordplan des Herodes erfahren. Mit drohendem Kindesentzug kennen sie sich aus: Schließlich wurde schon des öfteren von Amts wegen versucht, Mutter Herdmann ihre Kinder wegzunehmen. "Egal, ob es später Jesus oder ein Klempner werden will, hat es erst einmal verdient, in Ruhe ein Kind zu sein. Raus aus meinem Stall", ruft denn auch Eugenia als streitbare Maria aus. Es ist das Schlusswort unter ein Krippenspiel, das mit überbordender Spielfreude dargeboten wird und zu denken gibt.

Hilfe, die Herdmanns kommen! , Sa., 22., und Mi., 26. Dez., 19 bzw. 16 Uhr, Schauburg

© SZ vom 21.12.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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