Theater:Such den Witz

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Unheil über München: Das Ensemble steht bei dieser Uraufführung ziemlich lang im Regen. (Foto: Armin Smailovic/Kammerspiele)

Aus Olga Bachs Satire "Dr. Alıcı" macht Ersan Mondtag an den Münchner Kammerspielen einen Hitchcock-Abend. Diese Uraufführung ist fast ein bisschen unheimlich.

Von Christine Dössel

Man weiß gar nicht, was schlimmer ist: die Klimakatastrophe oder die zunehmende Bedrohung von rechts. Ersan Mondtags Inszenierung "Dr. Alıcı" an den Münchner Kammerspielen ist von beiden Übeln düster grundiert. Da ist zum einen dieser unheilvolle Regen, wie er so exzessiv und anhaltend wohl noch nie in einem Theater herabgegangen ist. Es schüttet, es gießt, es kübelt aus Eimern, und das nahezu ohne Unterlass. "Ein Sauwetter!", flucht es unter den Schirmen. Von Unwetter-Toten ist die Rede, fünfzehn an einem Tag. Und das allein in München! "Das wird so weitergehen", mutmaßt die titelgebende Frau Alıcı, ihres Zeichens Polizeipräsidentin. Woraufhin der CSU-Mann vom Innenministerium beschwichtigt: "Papperlapapp, die Natur verhält sich zuweilen exzentrisch."

Der Mensch allerdings auch. Analog zum extremen Wetter geht es in dem Stück "Dr. Alıcı" von Olga Bach um extreme Ausschläge im Politbarometer auf der nach rechts offenen Gesinnungsskala. Zu vermelden sind alarmierende Werte im AfD-Bereich, sexistische und rassistische Tiefausläufer inklusive. Und weil das per se gruselig ist, bringt der Schlechtwetter-Regisseur Ersan Mondtag neben der Regenschauerlichkeit ganz viele weitere Schauereffekte zum Einsatz - von morbiden Anleihen bei der "Addams Family" und deren Vampirfilmverwandten über klassische Psychothriller-Zitate bis hin zu den schwarz vermummten Gestalten, die als stumme Armee immer einsatzbereit sind, sei es für Bühnenhilfsarbeiten oder als Angstmacher auf leisen Sohlen. Sie sind es auch, die in Ermangelung einer Drehscheibe das quietschbunte Geisterhaus anschieben, das Nina Peller auf die Bühne gebaut hat, je nachdem ob die Frontseite oder die ins Innere Einblick gewährende Rückseite gebraucht wird. Es ist ein stilisiertes, zweistöckiges All-American-Vorortsiedlungshaus, wie geschaffen für eine Inszenierung von Robert Wilson oder für einen Nightmare on Elm Street, Fenster und Giebel neonleuchtend gerahmt, davor signalhaft ein Telegraphenmast. Innen führt eine Treppe nach oben, rechterhand zwei Balkone. Die Umgebung auf dem Hintergrundprospekt zeigt mehr eine Favela denn ein Villenviertel.

Das alles ist sehr verwirrend, spielt das Stück doch dezidiert in Bayern, genauer: in München im Jahr 2023, zwei Monate vor der bayerischen Landtagswahl. Handlungsorte des Fünfakters sind das Polizeipräsidium in der Ettstraße, Büro- und Vorräume und am Schluss das Innenministerium. Nur der zweite Akt spielt bei Frau Dr. Alıcı zu Hause, wo sich die Titelheldin mit ihrer Geliebten nackt tummelt und mittwochs immer Saunatag ist, mit Einladung auch für die Herren der Politik. Denn eigentlich hat Olga Bach eine schweißtreibende, weniger regen- denn klischeetriefende, mit vielen O-Tönen und Fakten angereicherte Politsatire geschrieben, die bei der Lektüre nach deftigem Kabarett und Derblecken schreit und eine entsprechend zupackende Regiepranke verlangt. Aber Ersan Mondtag streicht nicht nur das Krokodil, das die Autorin als mitwirkendes Haustier in ihr leider etwas banales Politkasperltheater hineingeschrieben hat, er streicht das ganze Setting samt der Satire und macht: seinen eigenen Film.

Wobei das mit dem Film wörtlich zu nehmen ist. Ästhetisch orientiert sich Mondtag in seiner Thriller-Inszenierung stark an Alfred Hitchcock, dem Meister des Suspense. Er versucht durch betonte Künstlichkeit und eine extreme Langsamkeit in den Sätzen und Bewegungen so eine Hitchcock-typische "Spiritual Mystery" zu erzeugen - wozu besonders auch die düster dräuende, aufreizende Suggestivmusik von Diana Syrse beiträgt. Etwas Unheimliches liegt in der Luft. Käuzchen schreien, Donner grollt. Dazu dieser sintflutartige Dauerregen, der die tendenzielle Seichtigkeit des Textes zusätzlich verwässert. Alles ziemlich creepy hier. Das Mysteriöseste aber ist, warum das so ist. Und warum München nicht in Bayern ist.

Ersan Mondtag und Olga Bach sind ein gut eingespieltes Erfolgsteam, das in der Regel seine eigenen Szenarien entwirft, sei es ein verlogenes Menschheitsparadies wie in ihrem 2017 zum Berliner Theatertreffen eingeladenen Stück "Die Vernichtung" oder die abstruse "Assoziation zum NSU" mit dem Titel "Das Erbe", mit der sie 2017 ihr Debüt in München gaben. Auch in "Dr. Alıcı" geht es um politische Krassheiten, diesmal jedoch - vielleicht ist das der wunde Punkt - auf Basis einer Vorlage: Arthur Schnitzlers Stück "Professor Bernhardi" von 1912. Ist es bei Schnitzler ein jüdischer Klinikchef, der aufgrund einer ärztlichen Entscheidung, die er einsam trifft, seine Kollegen gegen sich aufbringt und in einen Strudel aus antisemitischen Intrigen gerät, stellt Olga Bach in ihrer Überschreibung des Dramas eine türkischstämmige, muslimische, lesbische Polizeipräsidentin in den Mittelpunkt, mit rothaariger Jovialität erstaunlich ernsthaft gespielt von Hürdem Riethmüller.

Zum Konflikt kommt es, als Dr. Alıcı vom Verfassungsschutz erfährt, dass fünf Männer, die dem Landtag angehören, Anschläge auf staatliche Einrichtungen planen. Die Fünf stehen im Verdacht, "Reichsbürger" zu sein und Waffen zu haben, nur können diese Waffen bei einer Hausdurchsuchung nicht gefunden werden. Alıcı lässt die Verdächtigen wegen "drohender Gefahr" für die Dauer der Wahlen in Präventivgewahrsam nehmen - das Polizeigesetz macht's möglich. Damit bringt sie nicht nur die CSU, sondern vor allem die Rechtsnationalen von der Partei "Proaktiv fürs Abendland" gegen sich auf. Als einer der Inhaftierten stirbt, kommt es zum Eklat. Die Frau wird diffamiert, bedroht, erpresst, ihre Wohnung verschmiert, ihre Geliebte drangsaliert. Die scheinbare Liberalität - eine Frau als Polizeipräsidentin, eine Muslima! - zeigt ihr fratzenhaftes wahres Gesicht. Das ist alles sehr hinterzimmerintrigant widerlich, bleibt in vielen Abläufen aber unklar und wird von der Autorin beschwert mit juristisch-politischer Didaktik. In Mondtags monoton gedehnter Kontrastregie wird die behauptete Spannung nie eingelöst. "Zach" nennt das der Bayer, wenn es sich zieht. Irgendwie geht das alles nicht zusammen.

Optisch hat die Inszenierung allerdings einen hohen Schauwert. In den grotesken Kostümen von Teresa Vergho sind die Figuren grell überschminkte Grusel- und Witzfiguren, vampireske Monster im Gothic-Look. Samouil Stoyanov gibt in diesem amerikanischen Horrorfilm-Setting als Dr. Edmund Bauer vom Innenministerium den bayerischen Ton an, er kann das und flucht auch richtig schön professionell: "Kreizkruzefix, Himmelherrgott, Sakrament!" Stoyanow ist das adipöse Zentrum des Abends, ein wattierter Fettwanst im Ledermantel, dreist und feist an den jungen Franz Josef Strauß erinnernd. Als solcher schleimt und säuselt er gefährlicher, als die CSU erlaubt. Na servus!

Herrlich auch, oder besser: wunderbar weiblich Thomas Hauser als Alıcıs Praktikant: Er gibt sie als klassische Hitchcock-Blondine mit ominöser Aura und feiner Eleganz. Der alte Michael Gempart spielt den Abgeordneten der "Ökologen" wie einen Hipster-Dracula frisch aus dem Grab, Christian Löber hat Nazi-Offiziersformat, und Jelena Kuljić (im lustigen Fledermaus-Look) steuert mit ihrer rauchigen Jazz-Stimme dunkle Gebetslieder bei. So rettet sich ein jeder in eine mal mehr, mal weniger überzeichnete Spiel- und Tonart, vom Regisseur leider oft im Regen stehen gelassen. Darin geht die Inszenierung baden.

© SZ vom 26.01.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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