Theater:Steven Scharf als Woyzeck

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Von Wolfgang Kralicek

(Foto: Reinhard Werner/Burgtheater)

Als der Regisseur Johan Simons noch Intendant der Münchner Kammerspiele war, gehörte Steven Scharf dort zu seinen Lieblingsschauspielern, und umgekehrt. Am Schauspielhaus Bochum kommen die beiden ab der nächsten Spielzeit wieder zusammen; ihre erste Bochumer Kollaboration ist eine Koproduktion mit dem Burgtheater und hatte bereits jetzt in Wien Premiere: Mit Scharf in der Titelrolle hat Simons Georg Büchners "Woyzeck" inszeniert, und der Regisseur präsentiert das fiebrige Fragment als Zirkusprogramm.

Der Vorhang des Akademietheaters ist eine rot-weiß gestreifte Zeltplane, die Bühne eine Manege; Zirkusfolklore wie laute Musik oder grelle Schminke aber vermeidet Simons konsequent. Man versteht auch so, dass es Clowns sind, die hier Büchner spielen. Woyzecks Frau Marie (Anna Drexler) ist ein Dummer August, der fesche Tambourmajor (Guy Clemens) ein komischer Kraftmensch, der Doktor (Falk Rockstroh) eine Pierrot-Figur. Die Hauptattraktion im Zirkus Woyzeck aber ist natürlich Steven Scharf, 44. Mal als autistischer Weißclown, mal als nackte Kreatur, mal als extrovertierter Zirkusdirektor zeigt der Schauspieler verschiedene Facetten einer Rolle, die weit entfernt sind von dem passiven Opfer gesellschaftlicher Drangsalierung, als das der Soldat und Frauenmörder Franz Woyzeck meistens dargestellt wird. Die anmutige Mischung aus Neugier und Zerstörungslust, mit der er anfangs gleich einmal Stéphane Laimés Bühnenbild demoliert, bestimmt auch den weiteren Verlauf des 100-minütigen Abends. Geschmeidig wie ein Raubtier schnürt Scharf über die Bühne, überall will er mitspielen, findet aber keinen Anschluss. Auch der Mord an Marie sieht hier aus wie ein Kinderspiel; das Messer, mit dem er auf sie einsticht, ist offensichtlich ein Spielzeug, und es fließt auch kein Theaterblut - Clowns bluten nicht.

Dieser Woyzeck ist mehr Melancholiker als Schmerzensmann; eine verhuschte Traumgestalt, einsam wie das letzte Kind auf Erden aus dem tieftraurigen Märchen, das im Stück erzählt wird. In dem Zirkus, der in dieser außergewöhnlichen Inszenierung die Welt ist, stellt Steven Scharf eine besonders staunenswerte Kuriosität dar: den Menschen.

© SZ vom 13.04.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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