Der Mann ist ein Wrack, das sieht man gleich. In Unterwäsche wälzt er sich auf dem Boden seines Luxus-Ateliers, fertig wie nach einem Boxkampf. Pommes liegen herum. Fast-Food-Müll. Der Baumeister scheint die Nacht durchgemacht zu haben. Das Glas Milch, das ihm seine Sekretärin Fosli bringt, schüttet er sich zackig ins Gesicht, um sodann - müder Mann wieder munter - seinen Mitarbeiter Ragnar runterzuputzen: "Solide? Interessiert mich nicht!" Als der offensichtlich hochbegabte Ragnar ihn bittet, die Villa für einen lange hingehaltenen Kunden selber bauen zu dürfen, platzt dem eitlen Meister endgültig der Kragen und er kommandiert seinen Angestellten wie einen Hund: "Platz da! Mach Platz!"
Ibsen fragt in dem Stück, welchen Preis ein Künstler für sein Lebenswerk zahlen muss
Henrik Ibsen hat den Titelhelden seines 1892 uraufgeführten Dramas "Baumeister Solness" nicht sonderlich sympathisch gezeichnet - als einen egoistischen Aufsteigertypen, der andere skrupellos ausnutzt. In der Inszenierung von Christian Stückl am Münchner Volkstheater wird er gänzlich zum Kotzbrocken. Maximilian Brückner, als Schauspieler an Stückls Haus groß geworden, in den letzten Jahren aber fast ausschließlich dem Film zugewandt, spielt Solness als widerwärtigen Rammler, Macho, Borderliner, hitzig-übertourig wie auf Koks. Anfangs wirkt das aufgesetzt. Brückner braucht Zeit, um in die Rolle hineinzufinden. Je heftiger Solness dann mit seinen inneren Angst- und Schuldgefühlen konfrontiert wird, desto stärker wird auch Brückner. Vielleicht liegen ihm die Arschlöcher einfach nicht.
Modisch ist dieser Solness ganz auf der Höhe der Zeit: Hipster-Bart, Sneakers, lässiger weißer Designeranzug. Sein Frauenbild aber - oder das des Regisseurs - ist so von gestern, dass er die ihm verfallene Kaja Fosli tatsächlich noch "Fräulein" nennt, sie nach Gusto packt, kost oder schnell mal von hinten nimmt, um sie dann eiskalt mit einem Klaps auf den Po abzuservieren. Widerlich. Wie ergeben Luise Kinner als eilfertiges Bürofohlen das alles mitmacht, wie sie im ausgestellten Satinkleidchen weibchenhaft hereinstöckelt und naiv-verliebt wieder hinaustänzelt, ist nicht weniger ärgerlich.
"Baumeister Solness" ist ein Seelendrama mit autobiografischen Zügen, in dem Ibsen nach dem Preis fragt, den ein Künstler für sein Lebenswerk zahlt. Und nach den Ängsten, die ihn umtreiben - vor allem der Angst des Alternden vor der Jugend. Solness hat einst selber seinen Chef ausgebootet, den Architekten Knut Brovik (bei Stückl gestrichen), dessen Sohn Ragnar er nun als technischen Zeichner beschäftigt, aber nicht hochkommen lässt. So stocksteif und verkniffen, wie Mehmet Sözer ihn als braven Angestellten gibt, ist dieser Ragnar allerdings weder eine Gefahr noch eine Herausforderung.
Mit einem vergleichsweise jungen Solness wie dem 38-jährigen Brückner rückt die Altersangst-Thematik in den Hintergrund, Stückl forciert mehr das Gewissensdrama und den Psycho-Krimi. Das todschicke Büro-Loft mit der breiten Glasfensterfront aus Schiebetüren, das Stefan Hageneier ihm auf die Bühne gebaut hat, ist insofern auch ein Seelenlabyrinth. Mehrere Plexiglaswände sind da wie in einem Spiegelkabinett hintereinander gestaffelt, und aus ihrer Mitte schimmert in großen weißen Buchstabenklötzen der Name des Imperiums: Solness.
Halvard Solness hat seinen Aufstieg zum Stararchitekten jenem Brand zu verdanken, der das Elternhaus seiner Frau vernichtete. Dass durch eine Erkrankung infolge des Feuers auch seine Kinder starben, Zwillinge, weiß er ebenso gut zu verdrängen wie seine Frau Aline. Die ist nur noch ein Schatten ihrer selbst. Magdalena Wiedenhofer gibt ihr, in einem schwarzen Catsuit steckend, eine geheimnisvolle Gangsterbraut-Aura. Die extra-elegante Diven-Art, in der sie unablässig Zigaretten raucht, scheint sie sich, ebenso wie ihren rasiermesserscharf geschnittenen Pony, von Uma Thurman aus Quentin Tarantinos "Pulp Fiction" abgeschaut zu haben. Sehr cool. Man traut ihr alles Mögliche zu. Etwa, dass sie gegen ihren Mann etwas im Schilde führt. Oder dass sie mit Doktor Herdal ein Verhältnis hat. Nur leider ist der bei Timocin Ziegler auch wieder nur so eine gestriegelte Beamten-Witzfigur.
Das Psychodrama in Fahrt bringt die junge Hilde Wangel, die von Solness jenes Königreich einfordert, das dieser vor zehn Jahren der damals Zwölfjährigen versprochen hat. Der Baumeister, der die Kleine offenbar geküsst, wenn nicht missbraucht hat, ist Hildes Held. Sie sieht ihn noch vor sich, wie er beim Richtfest auf den von ihm erbauten Kirchturm hinaufgeklettert ist und oben einen Kranz anbrachte. Genauso will sie den inzwischen Ängstlichen wieder haben: stolz und groß und frei. Solness lässt sich von ihr anstacheln. Lässt sich so stark in Ich-Bedrängnis bringen, dass es ihm zum Verhängnis wird.
Man kann diese Hilde als das Alter Ego von Solness betrachten. Bei Pola Jane O'Mara ist sie die Robustheit in Person, ein tätowiertes Punk-Girl mit blondem Schopf und nervensägender Pumuckl-Energie. In schnarrendem Ton treibt sie Solness inquisitorisch schier an die Wand. Dabei gibt es intensive Momente der Selbsterkenntnis, insgesamt aber bleibt der von Stückl intendierte Psycho-Thriller lau. Allein schon die breitformatige Bühne verhindert jene Tiefenschärfe, an der es der Inszenierung auch sonst an allen Ecken und Enden fehlt. Da hebt nichts ab, da bebt kein Abgrund, da stehen sich die Figuren im Dialog meist brav gegenüber, und die paar ironisch gemeinten Musik-Einlagen (Tom Wörndl) funktionieren auch nicht. Der Sache fehlt der Zug zum höheren Wahnsinn.