Theater:Schwarz, weiß, Blut

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Direkt aus dem Blutbad: Ingo Hülsmann als Othello und Sina Martens als Desdemona. (Foto: Katrin Ribbe)

Bloß nicht sensibel: Michael Thalheimer entledigt sich des Konflikts ums Blackfacing und macht am Berliner Ensemble aus "Othello" eine kraftmeierische Fitnessübung.

Von Till Briegleb

Die erste Frage für jede "Othello"-Inszenierung lautet heutzutage natürlich: Wie halten wir es mit der Haut? Weil die allermeisten Ensembles, auch das Berliner Ensemble, immer noch keine schwarzen Schauspieler beschäftigen, oder zumindest keine, denen das Führungspersonal eine solch tragende Rolle zutraut, muss ein Weg gefunden werden, der plausibel macht, warum wieder ein weißer Mann einen Schwarzen spielt. Natürlich könnte man sich auch 2019 immer noch selbstbewusst auf den Standpunkt stellen, dass Theater ein Rollenspiel ist, bei dem Menschen sich in andere Menschen einfühlen, und nicht eine direkte Repräsentation gesellschaftlicher Verhältnisse, wo der Elektriker nur vom Elektriker dargestellt werden kann und der König nur von einem König.

Aber die Frage nach der Haut, die lastet nach vielen stark emotional gefärbten Debatten nun eben schon so lange und so schwer auf diesem speziellen Darstellungsproblem, dass man auf die Maske gespannt ist, mit der ein Regisseur sich der Blackfacing-Erregung entledigen will, wenn er mal wieder den schwarzen Feldherren von Venedig mit einem weißen Mann wie Ingo Hülsmann besetzt.

Und Michael Thalheimer wählt für seine Inszenierung am Schiffbauer Damm, die am Samstag Premiere hatte, einen scheinbar cleveren Weg aus dieser Zwickmühle, der halb wie ein Zugeständnis, halb wie trotziger Spott wirkt. Er entscheidet sich für Blood-Facing. Sein "Moor of Venice" ist vollständig rot, eingetunkt in den Saft, der unter allen Häuten fließt und den ein Kriegsmann in Zeiten des Nahkampfs reichlich am Leib kleben hat.

Alles Subtile und Schwache wird weggemetzelt, mit voller Kraft auf den anderen eingedroschen

Ob mit diesem neuen Versteckspiel der Hautfarbe der daran aufgehängte Streit um gesellschaftliche Teilhabe sich diskriminiert fühlender Gesellschaftsgruppen langfristig gelöst werden kann, mögen zunächst diejenigen Beteiligten abwägen, die ihre Argumente gegen das monoweiße deutsche Repräsentanztheater richten. Die andere Frage für den Zuschauer aber ist: Was macht diese scheinbar originelle Blutlösung mit Shakespeares Eifersuchtsintrige in den Händen von Michael Thalheimer und seinen Darstellern? Und da ist die Wirkung absolut schlachtfeldreif. In diesem "Othello" wird alles Subtile und Schwache weggemetzelt, keine Zeit für die Frage nach Motivationen und Hintergründen, hier wird sofort mit voller Kraft auf den anderen eingedroschen.

Nackt wie direkt dem Blutbad entstiegen präsentiert sich Othello gleich in der ersten Szene als tumber deutscher Siegfried mit der verwundbaren Stelle der Eifersucht und ergeht sich in leidenschaftlichem Würgesex mit der perlweißen Desdemona. Augenblicklich nennt ein grauer Wut-Chor mit Vogelscheuchenmaske in lauten Verwünschungen diese "Rassenschande" "widerlich" und "ekelhaft". Und schon tritt ein hasserfüllter Jago auf, der von nun an zwei Stunden lang im selben gemeinen Tonfall den Untergang seines Vorgesetzten zum Ziel erklärt und durchführt, indem er ihm einen Eifersuchtsnagel nach dem anderen geradlinig ins Herz schlägt.

Das ist nicht ganz das, was William Shakespeare geschrieben hat, als er ein komplexes Gesellschaftsdrama um den Mauren Othello als edlen Charakter entwickelte, in dem er vielfältige Motive einer Nation im Kriegszustand um die Gefühlstragödie herum komponierte - und auch dem Intriganten Jago durchaus Züge verständlichen Handelns zukommen ließ. Aber Michael Thalheimer wollte noch nie fein sein. Er suchte immer nach dem pulsierenden Grundkonflikt eines Dramas, für den er alles andere mit dem Entbeinungsmesser entfernte. Nur ist das Prüfmuster eines so radikalen Zuschnitts von Vielfalt auf Wesentliches immer die Frage, ob der schematische Kern wirklich etwas Zentrales zeigt oder nicht doch ideologisch wird, sich genauso verkürzt auf ein Problem wie das von außen formulierte der Hautfarbe des Protagonisten.

Nur noch ein Zweikampf zwischen mächtiger Einfalt und offenkundigem Futterneid

Tatsächlich gibt es an diesem gewalttätig vor sich hin stampfenden Abend nicht eine einzige Sekunde, in der die Vorstellung zugelassen wäre, dass dieses Stück eine andere Wendung nehmen könne als im ersten Moment bereits skizziert. Es gibt folglich keinerlei Spannung, null Perspektivwechsel. Szenen von Zweifel, Skrupel oder gar Selbstreflexion über die eigenen Zwänge sind kategorisch ausgeschlossen. Das erste Bild einer von rassistischen und egoistischen Minimalzielen bewegten Gesellschaft wird einfach erfüllt mit Wucht und Lautstärke. Und dafür hat Thalheimer seine bewährten Kräfte dabei. Peter Moltzen als schlicht böser Jago und Ingo Hülsmann im verirrten Furor des schlichten Gemüts liefern sich bei dieser Heavyweight Championship im Emotion Building eine zweistündige Testosteronschlacht mit nie gefährdetem Ausgang.

Boxfans oder Menschen, die zu viele Zusatzproteine in sich reinstopfen, mögen die körperliche Kraftlösung als virtuos empfinden, wenn Othello seinen falschen Freund Jago und seine angehimmelte Frau wie Fleischstücke traktiert oder der ständig heuchlerisch herumhüpfende Intrigant seinen Hass zu brutal lautem Schlagzeugspiel im Stroboskoplicht auf der Drehscheibe von Olaf Altmann hysterisch auszappelt. Wer von diesem einseitigen Mannsein abgestoßen ist, dem bleibt als Alternative auch nicht das Stereotyp von der Weisheit der Frauen. Sina Martens spielt Desdemona als lüstern züngelndes Püppchen mit blonder Perücke, ein Klischee von Sexobjekt ohne kluge Distanz, die einfach blind von ihrem Schicksal vernascht wird.

Was für eine zeitgenössische Deutung des millionenfach aufgeführten Shakespeare-Klassikers soll das also sein? Dass die Welt nur noch ein Zweikampf zwischen mächtiger Einfalt und offenkundigem Futterneid ist, zu dem ein Volk aus Vogelscheuchen die Anfeuerungsrufe liefert? Ein Mackerkrieg um Trophäenfrauen in Hochzeitskleidern, bei dem am Ende nur Leichen zum Schlussbild bleiben? Ist das wirklich mehr als Freude durch Kraft? Unter die Haut jedenfalls geht es nicht. Und das Blut aus dem Hirn fließt ab ins Sitzfleisch eines Publikums, das anderen beim Kraftsport zusieht. Oh tello me somezing new next time.

© SZ vom 15.04.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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