Theater:Schnitzeljagd der Schicksale

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Szene aus "Love you, Dragonfly" am Theater Bremen. (Foto: Jörg Landsberg)

Armin Petras beginnt mit einem eigenen Stück als Hausregisseur in Bremen.

Von Till Briegleb

Es ist nicht so einfach, bei Armin Petras' Episodenstücken einen roten Faden zu finden, außer im Begriff der Sehnsucht. Sein letztes Stück "Love you, Dragonfly", das er wie immer unter seinem Pseudonym Fritz Kater veröffentlicht hat und nun in Bremen selbst inszenierte, springt mal wieder durch die Jahrzehnte und Systeme, wechselt von Schlaglicht zu Schlaglicht das Personal, lässt auf ziemlich unterschiedliche biografische Fragmente blicken, die jedes für sich Skizze eines Romans sein könnten. Manchmal angelehnt an große historische Ereignisse wie die stalinistischen Säuberungen, den großen Vaterländischen Krieg oder den nahenden Fall der Mauer, dann wieder fokussiert auf familiäre Schrecken wie ein sterbendes Kind oder seltene Krankheiten, beschreibt Petras wie ein Reporter Schicksale.

Der Untertitel des neuen Werkes von Petras/Kater, der nach seiner Stuttgarter Intendanz seit der aktuellen Spielzeit nun neuer Hausregisseur/Hausautor am Theater Bremen ist, hilft auch nicht wirklich weiter bei der Suche nach einer konsistenten Verbindung der Teile: "Sechs Versuche zur Sprache des Glaubens". Der Hinweis könnte den Zuschauer natürlich auf die Schnitzeljagd nach Spuren subtiler Religiosität in weltlichen Verhältnissen schicken. Aber tatsächlich ist auch der Begriff des "Glaubens" viel zu dehnbar und lapidar, um konkrete Interpretationshilfe zu geben. Denn Glauben beschreibt in diesen Geschichten die Hoffnung auf Erfolg mit einer "Goldmaschine" in der Sowjetunion, die Vorstellung hinter dem Eisernen Vorhang, dass das Leben im Westen viel besser sei, oder die amerikanische Zuversicht, dass es für alle Probleme eine Lösung gibt, wenn man sich nur anstrengt.

Doch alles menschliche Streben unter den Begriff des Glaubens zu subsumieren, klärt nicht auf über den kräftigen Antagonismus von Glauben und Wissen, der die Geschichte vorantreibt, sondern schafft nur kraftlose Gleichsetzungen. Und deswegen ist das viel sentimentalere Werkzeug, was diese sechs Szenen zart zusammenhält, das menschliche Sehnen nach Glück und Anerkennung, und zwar in Konfrontation mit sozialen und politischen Zwängen.

Blitzschnell und ruckartig wie eine Libelle (Dragonfly) wechselt Petras nicht nur von Geschichte zu Geschichte. Auch die Stile seiner Fragmente verorten sich nicht in einem Revier. Von der schrillen Groteske auf die Sowjetzeit inklusive Gulag und Kannibalismus zur psychedelischen Verdoppelung der Protagonisten, von einem Hauptmannschen Naturalismus zur Kapitalismusparodie mit Videoscreens reichen die Zugriffe von Petras' Regiekaleidoskop. Und auch das lässt sich am besten aus dem Gefühl einer Sehnsucht her verstehen. Der Sehnsucht nach Freiheit von inszenatorischen Zwängen. Diese Atmosphäre des verletzlichen Wollens macht die zerbrechliche Collage der Schicksale am Ende zu einer anrührenden Lesart von Geschichte. Der Regisseur glaubt offensichtlich noch an das Schöne im Menschen.

© SZ vom 24.09.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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