"Edward II." am Schauspiel Köln:Das große Bling-Bling der Gefühle

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Zwischen Filmrealismus und Theaterüberzeichnung: Alexander Angeletta und Birgit Walter am Set von "Edward II. - Die Liebe bin ich" nach dem Stück von Ewald Palmetshofer. (Foto: Ana Lukenda)

Pınar Karabulut hat am Schauspiel Köln aus dem Stück "Edward II. - Die Liebe bin ich " eine sechsteilige Online-Serie gemacht: schräg, grell, aufwendig - und voller toller Filmzitate.

Von Christiane Lutz

Wenn nichts mehr geht, dann geht erst recht wieder alles. Sicher hat sich die Regisseurin Pınar Karabulut das gedacht, als sie beschloss, aus einer geplanten Inszenierung von "Edward II." am Schauspiel Köln coronabedingt eine Mini-Webserie zu machen - eine Serie mit Schnitten und Ortswechseln, drinnen und draußen, mit Kamera- und Tonmenschen. Kurz: etwas richtig, richtig Aufwendiges. Wenn schon kein Theater, dann eben gleich etwas ganz anderes.

In "Edward II. - Die Liebe bin ich" packt Karabulut dann alles hinein, was das längst Netflix-verwöhnte Herz begehrt. Liebe, Intrigen, Morde, Blut, laute Musik, grelle Kostüme, Partyszenen, Sexszenen, Splitscreens und so viele Filmreferenzen, dass man mit dem Zählen gar nicht hinterherkommt. Das Ganze ist geadelt durch den poetischen Text von Ewald Palmetshofer, ihrem Drehbuch sozusagen, den die Figuren in Auszügen sprechen. Palmetshofer wiederum hatte sich für sein 2015 uraufgeführtes Stück von Christopher Marlowe inspirieren lassen und der sich wiederum von historischen Ereignissen des 14. Jahrhunderts. Jeden Freitag um 19.30 Uhr veröffentlicht das Theater eine neue der insgesamt sechs Folgen, anzuschauen sind sie bis Ende der Spielzeit in der Streaming-Sparte des Schauspiels Köln ( hier), die den hübschen Namen "Dramazone Prime" trägt. Diesen Freitag erscheint die vierte Folge.

In "Edward II.", wo das alles beherrschende Gefühl schon in der Unterzeile steht - "Die Liebe bin ich" - erzählen Palmetshofer und Karabulut die Geschichte von König Edward II. von England, der unsterblich verliebt ist in den adligen Gaveston. Sein Vater hatte Gaveston wohlweislich verbannt, doch Edward holt, kaum ist der Vater tot, seinen Favoriten zurück. Dann beginnt das Gerangel am Hof. Die Peers, also der Hofadel, sehen Moral und Macht in Gefahr. Denn weil Liebe auch ein bisschen dumm macht, vernachlässigt Edward die Staatsgeschäfte. Und überhaupt: Ein Mann mit einem Mann, das findet zumindest der Bischof nicht in Ordnung. Königin Isabella gerät zwischen die Fronten, und am Ende sind einige tot.

Der adelige Liebhaber arbeitet auf dem Bau, die Peers hängen in einem Hotel ab

Wer Pınar Karabuluts Theaterarbeiten kennt, weiß, dass die 34-Jährige eine Leidenschaft hat für Bling-Bling, Glamour und Mode, für Popmusik und rosafarbenen Trash. Der frönt sie hier hemmungslos. Genussvoll mischt sie Formen und Farben, Stile und Sprachen. Mühelos und ohne, dass das der Logik abträglich wäre, wechselt sie zwischen drinnen und draußen, zwischen Fernsehnaturalismus und Theaterüberzeichnung.

Zu Beginn der ersten Folge etwa lebt Gaveston (Justus Maier) in einer grauen Hochhaussiedlung, hat einen Job auf dem Bau und liest, total auf der Höhe der Zeit, Romane von Bernardine Evaristo und James Baldwin. Eine Szene, gedreht irgendwo in Köln (Kamera: Leon Landsberg), die im "Tatort" auch nicht besser aussehen würde. Dann Schnitt in die absurde Welt des königlichen Hofes: In einem Hotel hängen die gelangweilten, streitlustigen Peers herum und verspeisen Macarons, mit gepuderten Perücken und wuchtigen Rokokokleidern (Kostüme von der immer bemerkenswerten Teresa Vergho). König Edward, bezaubernd gespielt von Alexander Angeletta, ist eine zeitlose ätherische Erscheinung. Zu rosafarbener David-Bowie-Frisur trägt er ein unter den Brustwarzen ansetzendes Corsagenkleid mit pinkfarbenem Tüllrock, in dem er schwermütig und verliebten Herzens umherschreitet. Ein queerer Sonnengott.

Ein queerer Sonnengott, schwer verliebt: Alexander Angeletta als Edward II. (Foto: Ana Lukenda)

Bei Marlowe wurde die homosexuelle Liebe noch verhuscht angedeutet, Palmetshofer ist eindeutig, und Karabulut zeichnet sie mit Glitzerfarben auf den Bildschirm. Die meisten Figuren sind bei ihr Grenzgänger zwischen den Geschlechtern, schimmernde Gestalten, ohne dass sie sie der Paradiesvogelhaftigkeit preisgibt. Sie inszeniert eine minutenlangeLiebesszene zwischen Edward und Gaveston und interessiert sich dabei nicht für Provokation, sondern für Liebe als alles dominierendes Gefühl, das qua Natur keine moralische Wertung kennt. Lieben heißt frei sein. So steht für Edward außer Frage, dass er außer Gaveston auch seine Frau lieben kann. Es sind die anderen, die das nicht ertragen können.

Königin Isabella, mit fragendem Blick gespielt von Nicola Gründel, ist in dieser Konstellation nicht die betrogene Ehefrau, sondern eine ebenso Liebende. "Weil mein Herr, mein König mich zu übersehen pflegt, wirft keinen Blick seit Tagen mehr auf mich, ist ganz vernarrt in diesen Gaveston, und stiert ihn liebeskrank die ganze Zeit, dafür mich nicht mehr an, nur ihn", sagt sie betrübt in der für Palmetshofers Texte so bezeichnenden Syntax. Am Ende wird Isabella sich selbst einen Geliebten nehmen und ihren Sohn zum Thronfolger machen, angestachelt zur Rache, weil sie dem Druck nicht standhalten kann.

Die Regisseurin stellt eine Szene aus "Titanic" nach, klaut bei Sofia Coppola, Baz Luhrmann, Tarantino

"I want you to draw me like one of your french girls", sagt Edward zu Gaveston in einer Szene, die exakt der zwischen Rose und Jack aus "Titanic" nachinszeniert ist, inklusive eines blauen Klunkers, den Edward trägt, während Gaveston ihn zeichnet. Außer bei James Cameron bedient sich Karabulut noch ganz schamlos bei Sofia Coppolas "Marie Antoinette", bei "Eiskalte Engel", bei Baz Luhrmann. Die dritte Folge ist fast gänzlich in Schwarz-Weiß, ein Gruß an den Film noir, die fünfte ist Tarantinos "Pulp Fiction" gewidmet. Sie kopiert die Szene eines missratenen Weihnachtens aus John Waters' "Female Trouble", und es schimmert immer auch Wes Anderson durch. "Edward II." feiert die Liebe als grelle Party (ach ja, wunderbare Kompositionen von Daniel Murena gibt es auch noch), feiert das Kino und die großartigen Möglichkeiten des Theaters. Reizüberflutung? Ach, es haben doch ohnehin alle gerade viel zu viel Ruhe.

Und das ist immer noch nicht alles. Das Schauspiel Köln hat ein richtiges Edward-rundum-sorglos-Paket geschnürt. Auf Instagram kann man über die Folgen diskutieren, das digitale Programmheft ist angereichert mit Podcasts, und auf der halbwegs erträglichen Videoplattform Gathertown treffen sich Zuschauer vor der Vorstellung mit Schauspielern und sehr freundlichen Theaterpädagogen, um sich zu unterhalten.

"Edward II." sollte man also nicht losgelöst aus diesem Gesamtpaket betrachten und nicht nur als filmischen Gehversuch einer Theaterregisseurin bewerten. Auch wenn der Versuch bis auf ein paar verräterische Tonprobleme überraschend gut geglückt ist und die Serie besser ist als vieles, was so im Fernsehen kommt. Nein, damit griffe man zu kurz. Das Schauspiel Köln hat mit dem Projekt eine radikale, sicher auch kostspielige Entscheidung getroffen, sich dieser mit allen Konsequenzen gestellt und somit das absolut Beste aus einer anhaltend bescheidenen Theatersituation gemacht. Nicht auszudenken, wenn aus "Edward II." eine normale Inszenierung geworden wäre.

Streaming-Informationen zu "Edward II." finden Sie hier .

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