Theater:Sand auf Perserteppich

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Ferdinand Bruckners "Die Kinder des Musa Dagh" nach dem Roman von Franz Werfel im Badischen Staatstheater Karlsruhe.

Von Adrienne Braun

Ein erschütternder Anblick! Entstellte Kinder, die an Webstühlen ihr karges Brot verdienen mussten. Franz Werfel, der 1930 mit seiner Alma durch den Nahen Osten reiste, ließ das Schicksal dieser armenischen Waisenkinder nicht mehr los. Er beschloss, der Welt zu berichten, wie man die Armenier im Schatten des Ersten Weltkriegs vertrieben und ermordet hatte - und wie eine Gruppe der Deportation entkommen war. Denn an die 5000 Verfolgte flüchteten 1915 auf den Berg Musa Dagh, wehrten die Angriffe der Türken ab und wurden schließlich von französischen Schiffen befreit. Werfels historischer Roman "Die 40 Tage des Musa Dagh" wurde ein Bestseller.

Im Badischen Staatstheater Karlsruhe erinnert nichts an das Mitleid, das Werfel antrieb. Sand donnert vom Schnürboden auf die Schauspieler. Eben noch haben sie kultiviert geplaudert und musiziert, jetzt kriecht ihnen der Sand in alle Ritzen, rieselt von den Köpfen, knirscht unter den Füßen. In Karlsruhe erinnert man derzeit mit einem Festival an den Völkermord an den Armeniern und hat dazu das Stück "Die Kinder des Musa Dagh" herausgekramt. Ferdinand Bruckner dramatisierte 1940 Werfels Roman, erst Ende der Neunzigerjahre wurde seine Bühnenfassung uraufgeführt. Es ist nicht sein bester Text.

Die Hauptfigur Gabriel lebt seit Jahren in Paris und fährt wegen einer Erbschaft mit Frau und Sohn in seine armenische Heimat, wo zunächst alles nach "paradiesischem Frühling" fernab des Weltkriegs ausschaut. "Ich bin hier sehr, sehr glücklich", frohlockt Gabriels Gattin Juliette (Amélie Belohradsky), aber die Familie wird hineingezogen in die Katastrophe. Gabriel wird Wortführer derjenigen, die auf den Musa Dagh flüchten. Auf der mit Perserteppichen belegten Bühne schiebt sich ein Podest in die Höhe: Wie auf einem Floß kauern Gabriel und seine Mitstreiter im Sand. Bei Bruckner wird nicht nur gegen die Türken gekämpft, sie zerfleischen sich auch selbst in Beziehungskrisen, Autoritätsproblemen, ideologischem Streit.

Bruckner erzählt die historischen Ereignisse nach, zeigt die Rolle der türkischen Regierung, die Haltung der Deutschen, Christen und Muslime. Doch beim Versuch, die religiös-politische Gemengelage zu durchleuchten, gerät ihm das Schicksal der Vertriebenen aus dem Blick. Er degradiert seine Figuren zu Stichwortgebern, die den weltpolitischen Kontext referieren, und montiert die diplomatischen Verhandlungen des Theologen Johannes Lepsius ein, der das Massaker zu beenden versuchte und im Stück doch nur abgespeist wird mit Ausflüchten. Von "nur gelegentliche Übergriffen kleiner Beamter gegen eine Minderheit" ist dann die Rede.

Der Versuch, den Bogen ins Heute zu schlagen, ist nur gut gemeint

Bruckner wollte - wie auch Werfel - die Rassenideologie der Nationalsozialisten anprangern. In den Türken, die im Roman für den Genozid verantwortlich gemacht werden, lassen sich die Nazis der Zeit erkennen. Die deutsche Leserschaft verstand die Botschaft, die Nationalsozialsten verboten den Roman. Bruckners Stück gerät durch diese Anspielungen allerdings noch hölzerner. Auch Regisseur Stefan Otteni hat heute kein schlüssiges Konzept zur Hand, das die Schwächen des Textes abfedern könnte. Er entwickelt keinen überzeugenden Sprachduktus für diese pathetischen Texte, für die Kampfrhetorik, die papiernen Debatten über Fremdsein, Nationalismus und Religion. Emphase und distanzierter Vortrag wechseln sich ab, immer wieder schlüpfen Schauspieler auch in andere Rollen, während die übrigen Akteure, eben noch Notleidende auf dem Plateau des Musa Dagh, teilnahmslos zuschauen.

Jannek Petri, der den Gabriel spielt, bleibt distanziert und findet sich nicht in die Rolle des weltläufigen Beaus aus Paris, der plötzlich auf dem Musa Dagh das Regiment übernimmt und zum Helden stilisiert wird. Nur einmal an diesem Abend werden die Figuren lebendig, als Gabriel seinen Sohn (Johannes Schumacher) davon abhalten will, sich blindlings in den Kampf der Armenier zu stürzen. Vergebens, der Junge stirbt.

Hadeer Khairi Hando hat dagegen heute überlebt. Er ist Jeside, übernimmt in der Inszenierung kleinere Rollen und erzählt von seinem eigenen Schicksal. Als einziger aus seiner Familie konnte der junge Mann aus Syrien nach Deutschland fliehen. Aber auch dieser Versuch, einen Bogen von der Historie in die Gegenwart zu schlagen, ist wie Bruckners Drama und Ottenis Inszenierung: gut gemeint. Mehr aber auch nicht.

© SZ vom 04.12.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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