Theater:Provokante Planlosigkeit

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François (Peter Blum) muss sich entscheiden: zum Islam konvertieren oder seine Karriere beenden. (Foto: Benedikt Mahler)

Benedikt Mahler zeigt im Teamtheater Tankstelle Michel Houellebecqs Skandalroman "Unterwerfung" als Monologstück für und mit Peter Blum als Literaturwissenschaftler Francois

Von Hanna Emunds

Ein Mann sitzt am Fenster. Ein Fernglas gegen die Augen gedrückt, beobachtet er das Geschehen auf den Straßen. Im Hintergrund ertönen Maschinengewehrsalven, Explosionen, Schreie. Es ist das Jahr 2022, Frankreich. Der Mann am Fenster heißt François. Er arbeitet als Literaturwissenschaftler an der Pariser Sorbonne, hält Vorlesungen, schläft regelmäßig mit seinen Studentinnen. Noch, denn in Frankreich sind Präsidentschaftswahlen. Und obwohl alle mit einer Wiederwahl Emmanuel Macrons gerechnet haben, stehen sich in der Stichwahl Marine Le Pens rechte Front National und die neugegründete "Bruderschaft der Muslime" von Mohamed Ben Abbes gegenüber. Und tatsächlich: Ben Abbes gewinnt und wird der erste muslimische Staatspräsident Frankreichs. Zuvor noch als gemäßigt, westlich, modern wahrgenommen, erlaubt er in kürzester Zeit die Polygamie, führt Theokratie, die Scharia und das Patriarchat ein. François droht seinen Job an der Uni zu verlieren, außer er konvertiert zum Islam.

Benedikt Mahler inszeniert im Teamtheater Tankstelle den skandalträchtigen Roman "Unterwerfung" des französischen Autor Michel Houellebecq aus dem Jahr 2015 als Monologstück. Das Bühnenbild von Camille Hafner ist schlicht. Von einem fensterartigen Gestell hängt ein weißer Lamellenvorhang. Daneben steht ein Holzgestell, dass vom Protagonisten François (Peter Blum) unter großen Anstrengungen mal zum Thron, Auto oder Bett umgebaut wird. François ist selten politisch, ein Trinker, frühzeitig gealtert. Mit ernsten Augen und geradem Rücken, selbstbewusst, aber weich, sagt er Dinge, wie: "Die Liebe eines Mannes ist nichts anderes als die Anerkennung für das ihm bereitete Vergnügen." Hinter der machohaften Fassade eines in die Jahre gekommen und etwas gewöhnungsbedürftig gekleideten Intellektuellen verbirgt sich ein einsamer, unentschlossener Mann. Er kommt nicht los von seiner jüdischen Ex-Freundin Myriam, eine seiner Studentinnen. Er behandelt sie schlecht, sagt ihr, dass er nicht sicher sei, ob es eine gute Idee gewesen sei, den Frauen das Wahlrecht zu geben. Trotzdem ist er traurig, als sie sich wegen der drohenden Veränderungen mit ihren Eltern nach Israel absetzt. Unentschlossenheit und Unsicherheit - die bestimmenden Eigenschaften François. Und der gesamten linksintellektuellen Elite Frankreichs, die den Aufstieg der Bruderschaft der Muslime durch ihre politische Zerrissenheit erst ermöglicht hat. Houellebecq entwirft in seinem Roman ein politisches Planspiel, das von vielen seiner Kritikern als islamophob gelesen wurde, da er den Islam auf die gängigen Stereotypen abwertet. Peter Blum zeigt durch eine überzogen ironische Darstellung des François jedoch, dass Houellebecq das Bild einer Gesellschaft zeichnet, die so versessen darauf ist, moralisch korrekt zu handeln, dass sie sich durch ihre Heuchelei und ihren Opportunismus selbst ins Verderben führt.

Unterwerfung, Mi., 10., Do., 11., Sa., 13., So., 14. Juli, 20 Uhr, Teamtheater Tankstelle, Am Einlaß 2a, 260 43 33

© SZ vom 10.07.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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