Theater:Problemgeflüster

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Ob Flüchtlings-, EU- oder Schuldenkrise: Das Theater schlägt derzeit eher leise Töne an, wenn es von der Welt erzählt. Eine Bilanz des Festivals in Avignon, das bei allem Trubel ringsum Ruhe bewahrte.

Von Joseph Hanimann

Gälten Regieanweisungen auch für Theaterrezensionen, müsste hier stehen: das Folgende im Flüsterton lesen. Geflüstert wurde viel beim diesjährigen Festival in Avignon. Wütend, traurig, zärtlich, beschwörend geflüstert - oder so wie im Stück "Sopro" (Atemhauch) von Tiago Rodrigues, dem Leiter des Nationaltheaters Dona Maria II in Lissabon, einer der schönsten Überraschungen des Festivals: Er stellte im Hof des ehemaligen Karmelitenklosters von Avignon die Souffleuse seines Hauses auf eine leere Bühne inmitten von verloren herumirrenden Schauspielern. Ihnen flüsterte sie berühmte oder vergessene Textstellen ins Ohr. Das wird vom Theater bleiben, wenn es keine Theater mehr geben wird, suggeriert die Aufführung: ein immenses, verinnerlichtes Stimmengewirr, von Mensch zu Mensch weitergehaucht, so wie in Truffauts Film "Fahrenheit 451" die Weltliteratur.

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