Theater:Milliardenloch

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Anselm Weber hat in Bochum Dürrenmatts "Besuch der alten Dame" inszeniert - mit Mechthild Großmann in der Titelrolle. Leider fad.

Von Martin Krumbholz

Erst beim Schlussapplaus macht einer der Schauspieler sich die Mühe, den Scheck über eine Milliarde, mit dem Claire Zachanassian den Tod ihres Intimfeindes und Vaters ihres Kindes Alfred Ill erzwungen hat, vom Boden aufzuheben - mit solcher Beiläufigkeit, dass unklar bleibt, ob die Geste Bestandteil der Inszenierung ist oder nicht. Eine Gratwanderung zwischen Schein und Sein, Signifikanz und Kontingenz - der Zeichentheoretiker Roland Barthes hätte seine Freude daran gehabt. Am Rest des Abends eher nicht.

Bochums Intendant Anselm Weber, soeben in gleicher Funktion zum Nachfolger von Oliver Reese am Frankfurter Schauspiel bestimmt, hat Friedrich Dürrenmatts Parabel "Der Besuch der alten Dame" aus dem Jahr 1956 ausgegraben und die Hauptrolle mit Mechthild Großmann prominent besetzt. Der unbescheidene Schweizer Dramatiker vergleicht im Nachwort zum Stück die "Dame" und ihren perfiden Rachefeldzug mit Euripides' Rache-Dame Medea. Beide handelten "absolut" und "grausam", mit dem Unterschied freilich, dass seine, Dürrenmatts Dame Humor besitze.

Mit Lektüre dieses Epilogs waren dem Regisseur Weber zwei maßgebliche Stichworte zugeflossen: Antike und Humor. Beide versucht er aufzunehmen. Für die Antike ließ er sich von Alex Harb aus schlichten Brettern ein Bühnen-Halbrund errichten, dessen Emporen dem Ensemble chorähnliche Auftritte ermöglichen. Außer der alten Dame und ihrem schmachvollen Ex-Lover Alfred Ill sind ja alle Figuren Chor. Dürrenmatt pfeift auf psychologische Differenzierung, es geht ihm um die These: Die Welt ist ein Bordell. Jeder ist käuflich, wenn man es nur lange genug probiert. In Bochum dauert es kaum zwei Stunden, dann sind alle "abendländischen Prinzipien" perdu. Die Gemeinde Güllen opfert Ill, weil Zachanassian eine Milliarde für ihn zahlt.

Für den Humor sorgt die Schauspielerin Mechthild Großmann bereits mit ihrem ersten Auftritt: Auf einer Sänfte wird sie durch die Saaltür getragen. Der Autor hat es so gewollt. Es waren eben die Fünfzigerjahre, da ließen sich reiche alte Damen auf Sänften tragen, um ihre Prothesen zu schonen. Weber inszeniert diesen Schmarrn werktreu. Großmann allerdings ist, bei allem Respekt, einer Reihe von Vorgängerinnen bei der Interpretation dieser Rolle doch unterlegen. Sie punktet mit ihrer voluminösen Titaninnenstimme, mit der sie auch als Staatsanwältin im Münsteraner "Tatort" die Menschen einzuschüchtern weiß. Aber das wirklich Böse nimmt man ihr nicht ab, weil man immerzu das Herz auf dem rechten Fleck schlagen spürt. Webers Plan war offenbar der, durch demonstrative Schlichtheit die Konzentration aufs Wesentliche zu lenken. Der Plan geht aber nicht auf, denn eines hat der gewiefte Stückeschreiber Dürrenmatt gewusst: Medea hin oder her, sein fetziger Plot braucht Stoff, Material, Beiwerk, sonst bleibt nur die dürre These übrig. Aus dem Überflüssigen wird sozusagen das Wesentliche. Auch in Webers Inszenierung gibt es bei aller Knappheit Überflüssiges, aber hier ist es kein Spielmaterial, sondern Schnickschnack.

Nicht selten auf Kosten der Schauspieler. Mangels präziser Vorgaben erliegt Matthias Redlhammer der Versuchung, die Rolle des Alfred Ill - die einzige ambivalente, also ernstzunehmende Figur des Stücks - zu verkaspern. Einmal sieht man, wie Ill, übrigens ohne sonderlichen handwerklichen Ehrgeiz, seine Wohnung weißelt. Der Bürgermeister (Marco Massafra) kommt hinzu, kriegt prompt einen Nasenstüber aus Farbe verpasst: Haha, schon ist auch er eine Witzfigur. Geradezu methodisch vergröbert die Regie das, was schon im Text recht holzschnittartig angelegt ist.

Was für eine langweilige, gedankenarme Aufführung. Obwohl Weber skrupellos auf Pointe setzt, lacht das Bochumer Publikum so selten, als wohnte es tatsächlich einer Tragödie - und nicht einer "tragischen Komödie" - bei. Weil nichts an dem Abend zündet.

© SZ vom 21.05.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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