Theater:Kunst ist schön, macht aber viel Arbeit

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Herbert Fritsch inszeniert am Hamburger Schauspielhaus einen Turbo-Abend rund um Karl Valentin. Da wird Spracharbeit zum Flohzirkus.

Von Till Briegleb

Im Norden, wo man Valentin mit weichem "V" spricht wie in Vase, beginnt man ein Theaterstück über den gleichnamigen Karl am besten mit dem einzigen Satz, den auch jeder Fischkopp von ihm kennt: "Kunst ist schön, macht aber viel Arbeit." Denn Nachhilfe tut hier schon not. Allerdings, wenn Herbert Fritsch diesen Unterricht erteilt, dann ist der akustische Widererkennungswert gleich null. Fritsch ist zwar in Augsburg geboren, was bekanntlich zum bayrischen Sprachraum gehört, aber ansonsten der Mundart abhold. Kein Laut des gemütlichen Dialekts von Karl Valentin und Liesl Karlstadt schleicht sich in diesen zweistündigen Tempoabend am Deutschen Schauspielhaus in Hamburg. Spracharbeit bei Fritsch ist Flohzirkus und keine Klassenarbeit.

Wie schon bei seinem Erfolgsstück über den Wiener Aktionspoeten Konrad Bayer "der die mann" von 2015 an der Berliner Volksbühne überschreibt Herbert Fritsch die Originalsprache der Texte Valentins mit einer speziellen Rhythmik, die an Kurt Schwitters' "Ursonate" erinnert, und deren Komik sich weniger aus dem explosiven Sprachwitz wie bei den Szenen von Valentin und Karlstadt ergibt als vielmehr aus der variantenreichen Wiederholung mit wechselnder Betonung.

Die Kunst, die viel Arbeit macht etwa, sprechen zwei Schauspielerinnen und drei Schauspieler auf Stühlen in unterschiedlicher Geschwindigkeit und Anteilnahme als fröhliche Kakofonie. Der absurde kurze "Liebesbrief", in dem 33 Mal das Wort "schreiben" in zahlreichen Varianten vorkommt, verhackstückt Fritschs Ensemble unter Leitung des Oberkaspers Bastian Reiber in kleine Partikel bis zur Größe eines Buchstabens, die dann lautmalerisch bearbeitet werden. Und der "depperte Depp depperter" wird zum rapperten Rap.

Nicht nur als geborener Münchner wird einem schnell bewusst, dass dieser Abend mit Karl Valentins speziellem Witz sehr wenig zu tun hat. Herber Humor ist Herbert Fritschs Sache einfach nicht. Und Valentins Volksbelustigung als grantiges Genie lebt eben von der Paradoxie der Pointe in schlauer Schlagfertigkeit. Dagegen verfolgt die hier praktizierte Umwandlung der Sketche in eine Grimassen- und Slapstickshow mit rhythmischer Silbenbehandlung ihr ganz eigenes musikalisches Konzept - breit schmetternd unterstützt durch eine 15-köpfige Bigband, bestehend aus dem Trio Steamboat Switzerland und dem JazzHaus Ensemble.

Kongenialität fehlt an diesem Abend gänzlich - Fritsch macht seinen eigenen Flohzirkus

Mit dem Bariton Hubert Wild und der langjährigen Fritsch-Schauspielerin mit Sopranstimme Ruth Rosenfeld zieht das Operettenhafte ein in Valentins Welt. Der Handwerkersketch "Der verflixte Scheinwerfer" wird zur Arie, Opernmotive bekämpfen sich mit Bierzeltmusik, und im Finale schwebt das Singen schon mal an Seilen durch die Luft. Und auch die aufgeputschte Körperlichkeit von Fritschs Übertreibungsregie lebt sich hier energisch aus, verhält sich allerdings zu Karl Valentins grinsender Gemütsruhe wie der Charleston zum Schieber.

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So trägt Michael Weber die "philisophische Betrachtung" über die Falschheit wie ein Gehilfe Frankensteins auf Koks vor, bis er und die anderen grau melierten Lockenköpfe in erstaunlich normalen Kostümen von Bettina Helmi mit ihrer Übererregung in grotesken Körperverrenkungen erstarren. Vielfarbig angestrahlte Packpapierbahnen rauschen auf und nieder, während sich die neun Darsteller mit ihren Ticks zu leicht dissonanter Bandmusik von Michael Wertmüller verausgaben. Und selbst wenn ausnahmsweise ein ganzer Sketch von Valentin wie "Das Aquarium" bis zur Pointe auserzählt wird, geschieht das in burlesker Zappeligkeit und nicht mit der Schelmen-Weisheit des Erfinders.

Kongenialität fehlt an diesem Abend also gänzlich, Valentins Originalität kann man schmerzlich vermissen, aber als weiterer Turbo-Fritsch über die Vielfalt von Sprachbehandlung ist diese bayernfreie Umstülpung Valentins ins Rhythmische ein sauber unterhaltsamer Kunstabend - dem man die Arbeit, die drinsteckt, auch ansieht. Immerhin erfüllt Fritschs Flohzirkus zumindest Karl Valentins Humor-"Philisophie", die da lautet: "Jedes Ding hat drei Seiten: eine positive, eine negative und eine komische."

© SZ vom 30.05.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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