Theater:Krude Höllenkreisreise

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Szene aus Federico Bellinis Stück „Eine göttliche Komödie Dante <>Pasolini“ am Münchner Residenztheater. (Foto: Matthias Horn)

Dante und Pasolini werden in einem wilden Theaterabend am Münchner Residenztheater aufeinander losgelassen.

Von Christine Dössel

"Lasst, die Ihr eintretet, alle Hoffnung fahren!" Durch neun Höllenkreise geht es in Dante Alighieris "Göttlicher Komödie" tief hinab ins Totenreich, von der Hölle über das Fegefeuer zurück ins Paradies, dem Menschheitsschoß. Am Münchner Residenztheater schicken der italienische Autor Federico Bellini und der Regisseur Antonio Latella ihren 1975 getöteten Landsmann Pier Paolo Pasolini nun auf diese Reise durch die Kreise. Der Abend ist eine Anstrengung, wenn nicht Zumutung - vor allem wegen seiner Verstiegenheit; der Art, wie er sich trotz eher abgedroschener Mittel wichtig macht und sich buchstäblich mit Kunstmuckis aufspielt. Bei der Premiere ließen bald auch etliche Zuschauer alle Hoffnung fahren. Es gab - das ist selten am Residenztheater - Zwischenrufe und am Ende deutliche Buhs. Was ja eigentlich wieder zur Skandalfigur Pasolini passt.

Der Abend ist eine sehr spezielle Totenbeschwörung - ausgehend von Pasolinis Ermordung

"Eine göttliche Komödie Dante <>Pasolini" heißt das krude Stück, in dem die beiden visionären italienischen Dichterhelden verbunden werden. Dante war für Pasolini ein "Fixpunkt seines künstlerischen Schaffens", wie das Programmheft ausführt, er habe versucht, Dantes "Divina Commedia" für die Gegenwart umzuschreiben. Was Latella und Bellini in ihrer eigenen Umschreibung der "Göttlichen Komödie" nun unternehmen, ist eine sehr spezielle Totenbeschwörung. Eine theatralische Nekromantie, ausgehend von der Ermordung Pasolinis, die auf der Bühne in immer neuer Ausführung vollzogen wird.

Pasolinis übel zugerichtete Leiche wurde am 2. November 1975 auf einem Bolzplatz in der römischen Hafenstadt Ostia gefunden. Er war zusammengeschlagen und von seinem eigenen Auto überfahren worden. Auf der riesigen, von Giuseppe Stellato bis zur Brandmauer aufgerissenen Resi-Bühne ist der Wagen zu sehen: ein formschöner Alpha GT 2000. In ihm hocken und aus ihm purzeln nach und nach die Protagonisten dieses Männertheaters, erst nur zwei, dann vier, schließlich sind es sechs. Sie sind alle gleich angezogen - Jeans, hellbraune Lederjacke, Sonnenbrille -, weil sie alle Pasolini sind, oder sagen wir besser: Projektionen des im Sterben Delirierenden. Als solche stellen sie auch die möglichen Totschläger und Vergewaltiger dar, zwei korrupte Carabinieri und später sogar Pasolinis Mutter Susanna Colussi - da sind wir dann schon im Fegefeuer, im "Purgatorio", das Muttersöhnchen daheim bei Mama.

Auch Pino Pelosi kommt natürlich vor, im Stück "die Wölfin" genannt: jener damals 17-Jährige, der gestand, den schwulen Pasolini erschlagen zu haben, als dieser ihn zu Sexpraktiken zwingen wollte - fast dreißig Jahre später widerrief er sein Geständnis. Auf der Bühne sieht man, wie Pasolini ihn von hinten auf der Kühlerhaube nehmen will. Daraus entwickelt sich ein Kampf, der tödlich endet. Dann drückt der Regisseur die "Rewind"-Taste und die Szene wird zurückgespult, was lustig anzusehen ist: Die Schauspieler im Rückwärtslauf zurück ins Auto, und alles beginnt von vorn.

Die nächsten Szenen spielen mit pantomimisch-choreografischer Schlägerbrutalität andere Versionen durch. Gerüchten zufolge sollen rechtsradikale Schläger die Bluttat begangen haben. Oder hatte gar die Mafia die Finger im Spiel? Eine andere Theorie besagt, Pasolini, der verhasste kommunistische "Hurensohn", habe am Todestag versucht, eine gestohlene Rolle seines brachialen Films "Salò oder die 120 Tage von Sodom" zurückzukaufen, daher das Geld unter der Fußmatte in seinem Auto. All diese Spekulationen und Verweise fließen in den Theaterabend ein, aber wenn man es nicht versteht, ist es aber auch egal, denn Latella inszeniert das Stück als einen abstrusen Albtraum, in dem die Gesetze der Narration und der Logik aufgehoben sind.

"Diese Hölle ist nichts anderes als eine unendliche Wiederholung", sagt Franz Pätzold einmal und macht "Krah!", weil er den Raben spielt aus Pasolinis Film "Große Vögel, kleine Vögel". Er ist aber auch der Dichter Vergil, der den Todgeweihten mit vielen Dante-Versen durch seine eigene Hölle führt und dabei auch mal Gott anruft. Dafür gibt es auf der Bühne extra eine schön altmodische Telefonzelle in klassischem Gelb, wie man sie nur noch selten sieht. Seltener jedenfalls als die entblößten Geschlechtsteile, mit der diese Inszenierung so freimütig und pseudo-provokativ aufwartet. Wenn der nackte Tim Werths als Pasolini von der eigenen Mutter am Schniedel über die Bühne gezogen wird, ist das eher für Lacher gut.

Latella zeigt exzentrisches Körpertheater, einen Fight- und Fick-Club in schwuler Hardcore-Ästhetik. Männer mit Muskeln und Macho-Gesten, schön anzusehen, wenn sie zu fetzigen Elektropop-Rhythmen und zuckenden Lichtern sich im Kampftanz ergehen. Einmal regnet es dekorativ auf Auto und Körper. Auch Slowmotion beherrschen die Schauspieler sehr fein. Der Text ist allerdings derart verblasen, dass man ihn gerne stumm geschaltet hätte.

© SZ vom 25.03.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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