Theater:Hinter der perfekten Stahlwand

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Katja Bürkle als Elektra (links) und Juliane Köhler als Klytämnestra auf dem Deck der stählernen Drehbühne. (Foto: Thomas Aurin/Residenztheater München)

Mit "Elektra" am Residenztheater in München stößt das von vielen Tonnen Stahl getragene Überwältigungskonzept von Regiestar Ulrich Rasche an seine Grenzen.

Von Cornelia Fiedler

Klar, wer hier der Star ist: "Neun Tonnen Stahl bilden die Kulisse", so beginnt schon die Pressemitteilung des Residenztheaters zur Premiere von "Elektra". Sogar das Programmheft der zweiten Münchner Inszenierung von Ulrich Rasche ziert eine Explosionsdarstellung seines turmartigen Bühnenkolosses, auf der die Räder, Gestänge und Käfigteile schwerelos auseinanderdriften. Der schwer angesagte Regisseur und Bühnenbildner Rasche polarisiert mit seinen Überwältigungswelten fürs Theater. Es sind beeindruckende Maschinenfantasien, Räderwerke, die niemals stillstehen und die an die italienischen Futuristen des beginnenden 20. Jahrhunderts erinnern. Nur, welche Rolle spielt in diesen Apparaten eigentlich der Mensch? Und was erzählt das über eine Gesellschaft? "Elektra" liefert auf diese Fragen ernüchternde, aber auch ernüchternd einfache Antworten.

Vater opfert Tochter, Mutter tötet Vater, Sohn tötet Mutter: "Elektra" ist eine jener bluttriefenden altgriechischen Rachemythen, die mal wieder klarmachen, woher Fantasy-Serien wie "Game of Thrones" ihre Inspiration ziehen. Katja Bürkle spielt die Elektra in München unheimlich und brutal körperlich, lauernd, die Beine und Arme ständig gebeugt, stapft sie kampfbereit und gequält zugleich immer und immer im Kreis. Und nicht nur das, sie tritt, das muss man erst mal schaffen, auch noch hochsymbolisch auf der Stelle, denn die Scheibe, auf der sie läuft, dreht sich mit. Eingesperrt, in Hass und Vergeltungsfantasien - bei Rasche auf der mittleren Etage des bühnenhohen Metallkäfigturms, dessen Ebenen sich drehen, verschieben und kippen können (SZ vom 15.2.2019) - lebt Elektra seit Jahren ausschließlich für ihre Mission: Sie trauert bis zur Selbstzerstörung um ihren Vater Agamemnon und schmiedet fanatische Rachepläne gegen ihre Mutter Klytämnestra und deren Lover Ägisth.

Der politisch wache Zuschauer wird angeregt, Einspruch einzulegen - vergebens!

Es ist nicht der erste Symbolraum einer Selbstradikalisierung, den Ulrich Rasche, Jahrgang 1969, entwirft: In seiner Dresdener Inszenierung des Romans "Das große Heft" von Ágota Kristóf, eingeladen zum Theatertreffen 2019, zeigt er zwei Kinder, die sich jeden Schmerz, jede Empathie austreiben, um zu überleben. Das Marschieren auf zwei Drehscheiben ist ein stimmiges Bild für deren Selbstzurichtung. Schillers "Die Räuber" machte Rasche 2016 am Residenztheater zu einem fast militärischen Frontalschauspiel auf zwei riesigen Laufbändern: ein marschierendes Kollektiv, das sich auf Loyalität und Gewalt einschwört. Bei "Elektra", inszeniert in der selten gespielten Überschreibung des antiken Stoffes durch Hugo von Hofmannsthal, ist Rasches Metaphorik denkbar einfach: Die Maschine spiegelt Elektras Innerstes als eine stählerne Gebetsmühle, mithilfe derer sie die Wunde offen hält, und sich selbst auf Rachekurs.

Allerdings ist es nicht Elektra, die Rasches Bühnenmaschinerie antreibt. Die funktioniert von allein - und das erzählt eine noch dunklere, ausweglose Geschichte: Die eines mechanisch ablaufenden Schicksals, aus dem die Menschen nicht aussteigen, dem sie sich nicht verweigern können. Klar: Das soll politisch wache Zuschauer anregen, Einspruch einzulegen. Doch dafür lullt einen der ewige Kreis-Lauf, verstärkt durch den treibenden, aber auf Dauer eintönigen Livesound von Komponistin Monika Roscher zu professionell ein: Widerstand ist zwecklos! Diese Botschaft wabert zusammen mit dem Bühnennebel Runde um Runde ins Publikum.

Als Mahner, Einpeitscher und Brandbeschleuniger hat Rasche auch diesmal einen Chor installiert, der im Text so nicht vorgesehenen ist. In streng gesprochenen, monotonen, drängenden Gedankenschleifen wälzen und loopen fünf Frauen und drei Männer zentrale Textstellen: Elektras Zorn, die Angst der Mutter Klytämnestra (Juliane Köhler), die Sehnsucht der Schwester Chrysothemis (Lilith Häßle) nach Vergessen und nach Neuanfang. Dabei ist der Chor unangenehm selbstgefällig inszeniert: trainierte Körper unter Netzhemden, jeder Schritt holt Schwung aus der Hüfte - Körperkult zwischen Unterwäsche-Catwalk und Wrestling-Arena.

Inspiriert von der damals gerade aufkommenden Psychoanalyse, hat Hofmannsthal versucht, die Frauenfiguren als widersprüchliche Aspekte einer einzigen Person zu interpretieren. Rasche schließt sich dieser Deutung an, indem er alle Figuren, auch Orest (Thomas Lettow) in Elektras Chor gewordenem Gedankenstrom mitlaufen lässt. Im Verhalten der Hauptfiguren, ihrem harten, fast würgenden Sprechen ist davon jedoch wenig zu spüren.

"Elektra" ist eine Inszenierung mit Absolutheitsanspruch, da ist nie Suchendes, Fragendes in der Spielweise, der Symbolik. Sie bleibt für sich, hinter einer meterdicken vierten Wand aus Perfektion. Ob Rasches Stil der humorfreien, hoch formalisierten Theatersprache und der martialischen Ästhetik aufgeht, steht und fällt jedoch mit der Qualität des Textes. Hofmannsthals Dialoge mögen in der Opernfassung von Richard Strauss überwältigen, im kalten, technischen Rasche-Sprech verpuffen sie. So bleibt von "Elektra" vor allem ein Bild, genauer ein Menschenbild: Jeder ist unausweichlich Teil der Maschine. Die Zumutungen einer Gesellschaft, die nur Gewalt als Lösung kennt, sind hinzunehmen. Politisch ist das Fatalismus pur.

© SZ vom 18.02.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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