Theater:Entwirf ein Flugblatt!

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Das Zentrum für Politische Schönheit fordert Schüler dazu auf, Flugblätter zu entwerfen. Der Sieger dürfe sie in einer Diktatur seiner Wahl verteilen.

Von Egbert Tholl

Die Broschüre verheißt eine Sensation. Mit Wappen und Logo verkündet sie den Aufruf des "Bayerischen Staatsministeriums für Bildung, Kultur und Demokratie", beim "Bayerischen Schülerlandeswettbewerb" mitzumachen und ein "Flugblatt gegen einen Diktator" eigener Wahl zu gestalten. Mitmachen darf, wer zwischen 14 und 24 Jahre alt ist und die deutsche Staatsbürgerschaft besitzt. Über die Flugblätter werde am 29. Juni in den Münchner Kammerspielen eine Jury befinden, der erste Preis: ein iPad, der zweite eine "Kulturreise nach Auschwitz". Außerdem dürfe der Sieger in eine Diktatur seiner Wahl reisen und dort Flugblätter verteilen, das verspreche ein "spannendes Wochenende mit Halbpension" zu werden. In der Broschüre zwei Grußworte der bayerischen Staatsminister Joachim Herrmann (hier zuständig für "Inneres, Bau und Verkehr") und Ludwig Spaenle ("Bildung, Kultur und Demokratie") inklusive Foto und Unterschrift.

Alles Fake, in der Anmutung aber sehr echt. Doch die verantwortlich scheinenden Ministerien gibt es nicht. Kleingedruckt steht im Impressum der Broschüre der eigentliche Verfasser: Philipp Ruch vom "Zentrum für Politische Schönheit" (ZPS).

Das ZPS veranstaltet seit 2009 politisch motivierte Kunstaktionen, ein bisschen wie Christoph Schlingensief ohne dessen Witz. Mal erinnerten sie mit Bombenattrappen vor dem Berliner Reichstag an das Massaker von Srebrenica, mal überführten sie die Leichen von im Mittelmeer ertrunkenen Flüchtlingen nach Berlin, um sie dort zu begraben, so zumindest die Ankündigung. Allen Aktionen ist ihre Legitimation durch eine Entrüstung über politische und gesellschaftliche Schieflagen zu eigen. Und die Tatsache, dass das mediale Echo größer ist als das unmittelbare.

Vor den Kammerspielen steht ein roter Doppeldecker-Bus, in welchem man sich für die Flugblatt-Aktion registrieren lassen kann. Außer den Leuten vom ZPS ist niemand drin. In den Kammerspielen indes lauschen viele Journalisten den Erklärungen Philipp Ruchs. Der laviert herum, besonders zur Frage, ob es im Sinne einer Kunstaktion vertretbar sei, jungen Menschen vorzugaukeln, sie würden mit einer Ministeriums-Aktion in eine Diktatur reisen. Mit dabei sitzt Yannick, einer der Probanden. Er gehe davon aus, der bayerische Staat werde ihn schützen, wenn er in der Türkei Flugblätter verteile. Ruch dazu: Das ZPS könne sich nicht vorstellen, dass jemand auf den Fake hereinfalle.

Warum dann das Ganze? Vor dem Hauptgebäude der Ludwig-Maximilians-Universität ist ein Infostand des ZPS. Niemand kommt, der Platz ist indes gut belebt. Blumen gedenken der Weißen Rose, die hier vor 75 Jahren ihre Flugblätter gegen den Krieg der Nazis abwarf. Das Jubiläum ist der Anlass der Aktion. In einem Trauerkranz steht auf Kurdisch "Şehîd Namirin", hier übersetzt: "Märtyrer sterben nicht".

"Scholl 2017", so der Titel der Aktion, will junge Leute zum zivilen Widerstand anregen. Dazu gibt es auch ein Lehrbuch für den Unterricht, voll mit Fragen und Daten, gut gemacht, gut recherchiert. Doch auch hier: Fake-Grußworte der beiden Minister. Kann man so auch nur einer einzigen Information im Buch trauen? Als Aktion im öffentlichen Raum ist "Scholl 2017" total gescheitert, von den bayerischen Ministern ist nichts zu hören, auf der Homepage zur Aktion sind sechs Kandidaten für den Diktatur-Tourismus registriert, mittels Telefonwahl kann man einen von ihnen auswählen: Deutschland sucht den Super-Aktivisten.

© SZ vom 28.06.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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