Theater:Einer aus dem Ländle

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Burkhard C. Kosminski, Jahrgang 1961, folgt am Stuttgarter Schauspiel auf Armin Petras. (Foto: Maks Richter)

Der Intendant und Regisseur Burkhard C. Kosminski fängt als neuer Schauspielchef in Stuttgart an und will das Ensemble künftig internationaler ausrichten.

Von Christine Dössel

Burkhard C. Kosminski hat nicht nur ab-genommen, er hat sich auch eine Brille mit dunklem Gestell, einen kahleren Schädel und überhaupt einen neuen Look zugelegt: künstlerisch-intellektuell-casual könnte man vielleicht sagen. Für seinen neuen Job als Schauspielintendant in Stuttgart scheint sich der 57-Jährige noch einmal neu erfinden zu wollen. Er hat jetzt sogar geheiratet, seine Lebensgefährtin, mit der er eine sechsjährige Tochter hat. Im Spielzeitheft der Stuttgarter Staatstheater sieht man Kosminski mit schwarzem Rollkragenpulli und modischem Kurzmantel zusammen mit den ebenfalls neu angetretenen Intendanten der anderen zwei Sparten abgebildet: Viktor Schoner, der als Nachfolger von Jossi Wieler die Staatsoper leitet, und Tamas Detrich, seit September Ballettchef. Der vierte im Bunde ist der geschäftsführende Intendant Marc-Oliver Hendriks. Vier Männer an der Spitze - halleluja! Am Staatstheater Stuttgart hat es bisher nur ein einziges Mal eine Frau in die Leitung geschafft, das war Marcia Haydée im Ballett, und das ist auch schon wieder eine Weile her (1976-1996).

Kosminski folgt im Schauspiel dem in (und mit) Stuttgart nie ganz heimisch gewordenen Armin Petras nach, der "aus persönlichen Gründen" vorzeitig aus seinem Intendantenvertrag ausgestiegen und zurück nach Berlin gegangen ist. So ein Fremdeln wird es bei Kosminski schon deshalb nicht geben, weil er selber Schwabe ist, geboren 1961 in Schwenningen, groß geworden in Pfullingen. Einer aus dem Ländle, der zwar einst in die weite Welt gezogen ist - Kosminski studierte Schauspiel und Regie am Lee Strasberg Institute in New York -, aber in den letzten zwölf Jahren wieder im Baden-Württembergischen tätig war: als Schauspieldirektor und dann Schauspielintendant in Mannheim.

Zum Auftakt inszeniert er selbst das Stück "Vögel" über den Nahostkonflikt

Auch wenn Kosminski behauptet, die beiden Städte hätten "mentalitätsmäßig nichts miteinander zu tun", lässt sich von außen darauf blickend doch sagen: Mit ihm kriegen die Stuttgarter nach sehr viel Ost-Kompetenz (vor Armin Petras amtierte Hasko Weber) wieder einen der ihren. Einen, der die schwäbische Kesselstadt nicht nur gegen ihren - wie Kosminski selber konstatiert - "schlechten Ruf" verteidigt, sondern dem man die Begeisterung dafür auch wirklich abnimmt. Man sieht sie, gepaart mit einer freudigen Entschlossenheit, in seinem Gesicht leuchten. Kosminski rühmt Stuttgart als eine "sehr lebendige und multikulturelle Stadt, was kaum einer sieht". Er lobt die "innovative Szene", die "tollen Museen", die "große Liebe der Stuttgarter zum Theater und zur Kunst" - und überhaupt das Stuttgarter Theater mit seinen "großartigen Werkstätten und seiner Tradition".

An diesem Haus sei er als Jugendlicher ans Theater herangeführt und dafür entzündet worden, das war in der Ära von Claus Peymann, in den glorreichen Siebzigerjahren. Für Kosminski schließt sich damit ein Kreis. Das habe auch etwas mit Heimkehr und Heimat zu tun. "Für mich ist Stuttgart eine Herzensangelegenheit", sagt der neue Intendant, und es hört sich an, als breche sich bei dem einst aus dem Ländle Entflohenen schon jetzt ein stärkeres Schwäbisch als bisher Bahn. Während seine Kollegen in der Oper und im Ballett längst begonnen haben, fängt Kosminski im Schauspiel erst an diesem Freitag an - der letzte Neustart in der laufenden Theatersaison. Der späte Termin wird der vermaledeiten Stuttgarter Drehscheibe zugeschrieben, die offenbar schon wieder sanierungsbedürftig war. Jetzt aber geht es los mit einem geballten Premierenprogramm an drei Tagen. Zum Auftakt inszeniert Kosminski - ein regieführender Intendant wie Petras - das Stück "Vögel" des frankokanadischen, im Libanon geborenen Erfolgsautors Wajdi Mouawad. Ein Projekt, mit dem er Zeichen setzen und die Weichen Richtung Internationalität stellen will. Gespielt wird in vier Sprachen, Englisch, Deutsch, Hebräisch und Arabisch, ganz im Sinne eines mehrsprachigen Ensembles, das Kosminski aufzubauen gedenkt.

In "Vögel" geht es um den Nahostkonflikt, mit der Wucht einer antiken Tragödie erzählt aus der Perspektive einer jüdischen Familie, die auf drei Kontinenten lebt. Kosminski ist begeistert von diesem "wichtigen, substantiellen Text über unsere gemeinsame Identität"; er sagt, er habe beim Lesen geweint. Er ist natürlich auch stolz, den Zuschlag für die deutschsprachige Erstaufführung bekommen zu haben. Die Uraufführung in Paris war 2017 ein Megaerfolg. Damit ist die Latte hoch gelegt. In Kosminskis Inszenierung spielen mehrere israelische Schauspieler mit. Einer davon, Itay Tiran - in Israel ein Filmstar-, gehört künftig fest zum Stuttgarter Ensemble.

Die zweite Eröffnungsinszenierung am Samstag obliegt dem britischen Regisseur Robert Icke, dessen moderne Überschreibungen von Klassikern wie "Maria Stuart" oder "Hamlet" am Londoner Almeida Theatre als ganz heiße Ware gehandelt werden, wie Kosminski sagt. Für Stuttgart erarbeitet Icke eine zeitgenössische Version der "Orestie" des Aischylos in Form einer Gerichtsverhandlung.

Den Premierenreigen abschließen wird am Sonntag die Uraufführung des Stücks "Die Abweichungen" des Grazer Autors Clemens J. Setz. Es handelt von einer tot aufgefundenen Putzfrau, die in selbst gebauten Modellen die Wohnungen ihrer Auftraggeber mit jeweils kleinen, irritierenden Abweichungen nachgebildet hat, weshalb eine Kuratorin diese Modelle als Kunstwerke ausstellen will. Regie führt Elmar Goerden, der schon in Stuttgart Hausregisseur und selber Intendant in Bochum war.

Die Beschäftigung mit neuen Stücken ist neben der Internationalisierung des Hauses und stadtspezifischen Projekten Kosminskis dritter Spielplan-Pfeiler. Alles andere wäre auch verwunderlich gewesen, steht Kosminski doch für ein explizites Autorentheater. Seine Schauspielintendanz in Mannheim war auch deshalb so erfolgreich, weil dort viel und produktiv mit Autoren gearbeitet wurde. Unter den insgesamt 120 Produktionen, die während seiner Zeit in Mannheim herauskamen, waren 62 Uraufführungen, davon 35 im Rahmen der Internationalen Schillertage, die Kosminski ausgerichtet hat. Hinzu kommen 18 deutschsprachige Erstaufführungen. Kosminski sagt, sie hätten in Mannheim mit neuen Texten teils sogar mehr Publikum gehabt als mit Klassikern. Darauf hofft er auch in der "Literaturstadt" Stuttgart.

So wird Kosminski seine Zusammenarbeit mit der Dramatikerin Theresia Walser fortsetzen. Deren neues Stück "Die Empörten. Eine finstere Komödie" inszeniert er nächsten Sommer in Koproduktion mit den Salzburger Festspielen. Mit dabei: Caroline Peters, André Jung und das neue Stuttgarter Ensemblemitglied Silke Bodenbender. Auch von Nis-Momme Stockmann und Roland Schimmelpfennig sind neue Stücke geplant. Eine Uraufführung wird auch das Projekt sein, das der bosnische Politregisseur Oliver Frljić im April mit einem "Europa Ensemble" inszeniert. Je zwei Schauspieler vom Nowy Teatr Warschau, dem Zagreb Youth Theatre und vom Schauspiel Stuttgart sollen eigene Texte und Visionen entwickeln. Es werden auch etliche Frauen in Stuttgart inszenieren, darunter Mateja Koležnik, Cilli Drexel, Pınar Karabulut und Anna-Sophie Mahler. Romanadaptionen, wie sie bei Armin Petras an der Tagesordnung waren, wird es bei Kosminski vorerst nicht geben. Und auch typmäßig unterschiedet sich der kommunikative Schwabe stark von seinem Vorgänger. Der Fußballfan Kosminski sagt es so: Wenn Petras "the special one war" wie etwa José Mourinho von Manchester United, dann sei er selber eben der Jürgen Klopp: "the normal one".

© SZ vom 16.11.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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