Theater:Die Ware Mensch

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Katharina Kessler und Andreas Möckel in „IKI.Radikalmensch“. (Foto: Jörg Landsberg)

Das Festival "Spieltriebe" in Osnabrück als Zukunftslabor: Zwei Stücke untersuchen das Verhältnis zwischen Mensch und Maschine. Eines scheitert, das andere glückt.

Von Alexander Menden

"Ich bin ein Individuum" jauchzt der Mann, der zu Beginn des Abends entdeckt hat, dass es eine Fabrik gibt, in der Menschen hergestellt werden, und schwebt posierend über der Bühne des Osnabrücker Theaters. Unten haben sich die in besagter Fabrik hergestellten Cyborgs in Perücken und Tüllkleidchen versammelt, als Gegenentwurf zum individuellen Menschen, sozusagen. Zu dem Zeitpunkt wurden bereits alle debattentauglichen Themen angerissen: Gen- & Nanotechnik, Klimakrise, Sex-Roboter. Jakob Fedler hat das alles in seine Bühnenbearbeitung von Oskar Panizzas 1890 veröffentlichter Erzählung "Die Menschenfabrik" gepackt.

Das Ganze fungiert als Eröffnungsinszenierung des vom Theater Osnabrück ausgerichteten "Spieltriebe"-Festivals, das alle zwei Jahre neue Dramatik ins Zentrum der Aufmerksamkeit stellt. Insgesamt ein Dutzend Produktionen sind zu sehen; allen gemein ist das Thema "Der Mensch als Ware". Kammerspiele, Konzerte, Kindertheater - alles unter den Vorzeichen des digitalen Wandels, der Selbstoptimierung und des drohenden Ökokollaps.

"Die Menschenfabrik", ein recht prophetisches Stück Prosa, wird hier thematisch überdehnt - Oliver Meskendahl als Wanderer, der über die Menschenfabrik stolpert, kommt vom Hölzchen aufs Stöckchen. Er lässt die Roboter, die ihn mechanisch ihrer Liebe versichern, zu Dehnübungen "Was du nicht willst, das man dir tu..." rezitieren. Zwischendurch treten die Roboter aus ihren Rollen, um im Stile des Proklamations-Theaters mal als Viktor Orbán, mal als Mark Zuckerberg über Politik und Internet zu reden. Das alles bleibt so unzusammenhängend, als sei bei dem Bemühen, alles abzuhaken, über die Stichwörter hinaus keine Zeit für eine wirkliche Beschäftigung mit den Inhalten geblieben.

Die Themen erinnern an den Film "Her" oder die Serie "Black Mirror"

Den umgekehrten Weg beschreitet die Uraufführung von Kevin Rittbergers "ökologisch-bürgerlichem Rührstück" "IKI.Radikalmensch". Angesiedelt in einer nahen Zukunft, in der das Streben nach Klimagerechtigkeit zu einer wohlmeinenden Ökodiktatur geführt hat, konzentriert es sich auf eine Zweierbeziehung: Andreas Möckel als Protagonist Peter Vogel hat sich vom Klimaprotestler der "Generation Greta" zu einem Repräsentanten eines egalitären Systems mit durchgegenderter Sprache gemausert, in dem es illegal geworden ist, Heizpilze aufzustellen, mit privaten Autos zu fahren und seine Kohlenstoffbilanz zu manipulieren.

Privat lebt Vogel, dessen Welt von Regisseurin Rieke Süßkow und Bühnenbildner Lukas Fries als eine Art künstlicher Gebärmutter gestaltet wird, mit einer "intimen künstlichen Intelligenz" zusammen. IKI ist eine Sexpuppe, die sich zu einem denkenden Technoorganismus weiterentwickelt hat. Julius Janosch Schulte spielt sie als zärtlich-distanzierte Menschmaschine, die besser weiß, was Paul will, als er selbst. IKIs Verständnis für ihren Eigentümer stellt diesen vor unüberwindliche Probleme: Als Produkt seiner Selbstverliebtheit reflektiert und vergrößert sie seine Schwächen und Sehnsüchte. "Es geht nicht darum ob du eine Seele hast, sondern darum, ob ich in dir eine Seele erkenne", sagt Paul, wie um zu erklären, warum er IKI auf ihre Werkseinstellungen zurückgestuft hat. "Es geht um das Ende der Menschen als gesellschaftliche Wesen im Augenblick der größten Vergesellschaftung."

Letztlich wird IKI durch UKI ersetzt, eine "Universelle Künstliche Intelligenz", die nicht mehr von Einzelnen zu steuern ist. Paul scheitert an seinem Festhalten an seiner Identität als Individuum, das sich hier nicht mehr feiert, wie in der "Menschenfabrik", sondern letztlich als mit dem System inkompatibel von diesem überholt wird. Dass das nicht mal wie eine ausgedachte Dystopie, sondern wie die logische Konsequenz einer möglichen Zukunft wirkt, ist die Stärke der Inszenierung. Es ist mutig und verdienstvoll, dass ein kleines Haus wie das Theater Osnabrück sich Themen widmet, die sonst von Serien wie Charlie Brookers "Black Mirror" oder Filmen wie Spike Jonzes "Her" verhandelt werden. Wie immer hängt der Erfolg der Umsetzung nicht vom Budget oder technischer Finesse, sondern von der inszenatorischen Grundidee ab: "Die Menschenfabrik" will zu viel und verliert so an Wirkung, "IKI.Radikalmensch bleibt konzentrierter und wird dadurch dem komplexen Thema weitgehend gerecht.

© SZ vom 17.09.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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