Theater:Der Text, nichts als der Text

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Antú Romero Nunes inszeniert eine staubtrockene "Orestie" an der Wiener Burg.

Von Wolfgang Kralicek

Die Orestie ist die Mutter aller Tragödien. Aischylos erzählt darin von den verheerenden Auswirkungen, die der Krieg auch für die hat, die ihn gewonnen haben. Blutig und radikal verhandelt die einzige erhaltene Trilogie des griechischen Theaters existenzielle Themen wie Familie, Schuld und Recht. Am Ende wird das Publikum im Idealfall mit Katharsis, also mit seelischer Reinigung, belohnt. Für die Bühne ist dieser Klassiker heute jedoch eine harte Nuss.

Denn die 2 500 Jahre alte Trilogie mutet geradezu protodramatisch an. Üblicherweise wird in zeitgenössischen Inszenierungen deshalb versucht, den erratischen Text durch szenischen Zugriff fassbarer zu machen. An den Münchner Kammerspielen hat Andreas Kriegenburg 2002 - ein Jahr nach dem 11. September - die Orestie mit dem "Krieg gegen den Terror" kurzgeschlossen. Und der flämische Künstler Jan Fabre hat 2015 versucht, den rituellen Charakter der Tragödie wiederzubeleben: mit extremen Bildern, totaler körperlicher Verausgabung und einem neuen Text.

Diese vollkommen humorlose Inszenierung ist ein in sich abgeschlossenes System

Im Wiener Burgtheater geht Antú Romero Nunes, sonst ein eher verspielter Regisseur, nun einen puristischen Weg. Er verzichtet auf fast alles, was helfen könnte, uns die Orestie näher zu bringen. Wie im griechischen Theater gibt es praktisch kein Bühnenbild; Matthias Koch hat nur eine Schräge in den leeren Raum gebaut, dessen Dunkelheit von harten Lichtkegeln durchdrungen wird. Und wie im griechischen Theater dem Chor erst nach und nach einzelne Schauspieler gegenübergestellt wurden, ist der eigentliche Hauptdarsteller auch hier das Kollektiv; dieses ist anders als bei den Griechen, wo auch Frauenrollen von Männern gespielt wurden, ausschließlich weiblich besetzt. Sieben Frauen stecken in schlammverschmierten Gewändern (Kostüme: Victoria Behr), sie sind geschminkt wie Untote, mit roten Mündern und schwarzen Augenhöhlen, auf dem Kopf tragen sie blonde Perücken mit kahlen, schorfigen Stellen. Die Burgschauspielerinnen sind also bis zur Unkenntlichkeit maskiert, manche von ihnen erkennt man nur an ihren Stimmen.

Diese rein weibliche Besetzung sorgt dafür, dass Geschlecht in dieser Inszenierung keine Rolle spielt. Offenbar will Romero Nunes, dass nichts vom Text ablenkt. Dieser wird, auf zwei pausenlose Stunden gekürzt, in der trockenen Prosa-Übersetzung von Peter Stein gesprochen.

Nach und nach lösen sich Protagonistinnen aus dem Chor: Caroline Peters ist Klytaimnestra, die ihren Mann, den aus Troja heimkehrenden Agamemnon (Maria Happel auf Kothurnen), und die Seherin Kassandra (Andrea Wenzl) ermordet. Sarah Viktoria Frick ist Elektra, die ihren Bruder Orestes (Aenne Schwarz) dazu anstiftet, den Mord am Vater zu rächen. Barbara Petritsch spielt die Amme und Aigisthos, den Liebhaber der Klytaimnestra. Wobei: "spielen" ist hier zu viel gesagt. Die Schauspielerinnen sind als Text-Performerinnen im Einsatz; und die, die nicht sprechen, sind zu Gruppenbildern arrangiert.

Die sauber gearbeitete, vollkommen humorlose Inszenierung ist ein in sich schlüssiges, aber auch abgeschlossenes System. Sie stellt nicht aus, was sie uns sagen will, der Text soll für sich sprechen. Im letzten Teil der Trilogie ("Die Eumeniden") wird der fatale Kreislauf aus Mord und Vergeltung durch Pallas Athene gestoppt. Die Göttin beschließt, dass über das Schicksal des Muttermörders Orestes in einer demokratischen Abstimmung entschieden werden soll. Orestes geht frei, und die rachsüchtigen Erinnyen verwandeln sich in friedfertige Eumeniden. Die Demokratie als Friedensstifter: Wie man diese Utopie interpretiert, ist für eine Inszenierung der Orestie eine entscheidende Frage. Romero Nunes handelt die "Eumeniden" in nur fünf Minuten ab, erlaubt sich am Ende aber doch einen interpretatorischen Eingriff. Nachdem Athene (Irina Sulaver) ihre Entscheidung verkündet hat, wiederholt der Chor einen pessimistischen Text aus dem ersten Teil: "Keine Hoffnung, keine Zuversicht ist in mir."

Diese Orestie ist eine Klassikerinszenierung, wie man sie schon lange nicht mehr gesehen hat. Was man damit anfangen soll, muss man sich selber denken. Das gilt dann auch für die Katharsis.

© SZ vom 23.03.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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