Theater:Das Leid am Hakenkreuz

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Taboris "Mein Kampf" in Konstanz: Von den angekündigten NS-Symbolen bleibt im Zuschauerraum wenig übrig, auf der Bühne umso mehr.

Von Anton Rainer

Fast eineinhalb Stunden dauert es, bis klar wird, wo die Hakenkreuzbinden geblieben sind. Statt an der Kasse ausgegeben zu werden, um Premierenbesucher des Stadttheaters Konstanz als leicht "korrumpierbare" Opportunisten zu enttarnen, fliegen sie gegen Ende des Stücks wie Konfetti von der Decke. Vermischt mit Davidsternen und säuberlich zerschnitten, um ja keine Gefahr für das friedliche Konstanz darzustellen. Statt tatsächliche Armbinden zu zählen, muss das Ensemble den militärischen Appell also simulieren. "1, 5 ... 20!", winkt Gretchen den "Nazis" im Publikum zu, und Hitler jubelt: "Dass wir schon so viele sind!" In Wirklichkeit werden statt NS-Symbolen nur im Schwarzlicht leuchtende, weiße T-Shirts gezählt. Eine offensichtliche Notlösung.

Dass das Gimmick, das sich Regisseur Serdar Somuncu für seine Inszenierung von George Taboris "Mein Kampf" überlegt hatte, am Ende so halbherzig verpuffte, lag nicht etwa an der fehlenden Bereitschaft der Zuschauer. Wer bereit sei, Hakenkreuz statt Davidstern zu tragen, dürfe gratis ins Theater, hatte Somuncu versprochen - und zumindest von einem Teil des Publikums wurde das Angebot begeistert aufgenommen. Von Hans Wölcken zum Beispiel. "Ich habe für meine Karte bezahlt", stand zwar auf dem Din-A4-Blatt, das sich der 77-Jährige an diesem Abend an sein Hemd klemmen wollte. Aber auch: "Ich erschrecke, wie viele Menschen ihre Überzeugung für eine Theaterkarte aufzugeben bereit sind." Deswegen wolle er das Kreuz mit ihnen tragen: "Nur das ist Provokation, ein Davidstern ist Mainstream."

Insgesamt sechs Personen hatten sich zum Premierenabend ein Hakenkreuz reserviert, ob sie überhaupt gekommen sind - keiner weiß es. Das enttäuscht manchen Kameramann ("Jetzt zeig' doch jemand ein Hakenkreuz, das Fernsehen ist da"), freut aber dafür das Theater Konstanz, das in den letzten Wochen Olympiagold in taktischem Zurückrudern einfuhr. Niemand müsse Davidsterne tragen, wenn er nicht wolle, hieß es nach der ersten Kritik. Die Hakenkreuze sollten bleiben, aber auch wieder nicht, wer weiß: Vielleicht verteile man ja am Ende "stattdessen Mickey-Mäuse". All die Rechtsgutachten und Pressemitteilungen, die Intendant Christoph Nix verschicken ließ, sie machten irgendwann den Eindruck eines Scherzes, der den Witzbolden selbst zu weit gegangen war.

Statt mit der Verteilung von Armbinden beginnt Somuncus "Mein Kampf" also mit Schlägen. Zunächst trifft es nur den Gong der "Tagesschau", der eine Collage aus Nachrichten- und Propagandabildern einläutet - Donald Trump und Donald Duck erscheinen überlebensgroß auf einer Leinwand, es folgen Krieg, Gauland, das tote Flüchtlingskind am Strand, ein Panoptikum politischer Tragödien. Dann werden die Saaltüren aufgestoßen und die nächsten Prügel verteilt: "Ausländer raus! Deutschland den Deutschen!", brüllen Nazi-Tölpel in Lederhosen und schlagen um sich. Der Auftritt Hitlers muss warten, bis die Gewaltorgie beendet ist. Erst dann darf mal gelacht werden.

Schließlich ist das 1987 uraufgeführte "Mein Kampf" ein pointiert komisches Gedankenspiel: Was wäre, wenn Hitlers Aufstieg ausgerechnet durch die Liebe eines Juden verursacht worden wäre? Zuerst aus Mitleid, dann aus Fürsorge kümmert sich der Jude Schlomo Herzl (Thomas Fritz Jung) um den talentfreien Maler und dessen eindeutig zweideutige Werke ("Muschi im Zwielicht"). Er berät das Muttersöhnchen in Bartmode, näht ihm Hosenknöpfe an, steckt Hitler wegen seiner Hypochondrie sogar ein Thermometer in den Hintern. Am Ende hilft's viel und gleichzeitig nichts: Hitler wird Führer, und Schlomo Herzl hat eine Bestie erschaffen. Als Farce hat Tabori, der seinen Vater in Auschwitz verlor, seine später dramatisierte Erzählung bezeichnet und als theologischen Schwank. So darf auch der liebe Gott, alias Lobkowitz, in diesem Wiener Männerklub Selbstexegese betreiben.

Nur dass dieser Lobkowitz (Andreas Haase) in Konstanz eben nicht einfach nur Gott ist, sondern auch: Donald Trump. Somuncu, als Satiriker und Mitglied der Spaßpartei "Die Partei" in Absurditäten erfahren, hat ihm föhnige Locken verpasst, einen Anzug mit USA-Anstecker und eine rote Krawatte. Hin und wieder sagt Donald Lobkowitz "Make America Great Again" und "Fake News", damit es auch wirklich jeder versteht.

Überhaupt lässt die Regie keine erdenkliche Aktualisierung aus, stopft Taboris Schwank mit Anspielungen voll: Höcke, Kurz, May, Petry und Thatcher treten auf oder werden in Nebensätzen abgehandelt, die Vorlage wird mit Zitaten überladen, bis jeder Rechtsaußen zumindest einmal zum Hitlergruß kam. Und der junge, nervös zappelnde Adolf (Peter Posniak) singt Helene Fischers "Atemlos" in ein großes, schwarzes Dildo-Mikrofon. Überdreht waren die Lautstärkeregler schon davor, nun beginnen die pfeifenden Rückkoppelungen.

Nicht Politik und Klamauk sind das Problem dieser Szenen, es sind die Holzhämmer und Gummidildos, mit denen die Regie heftig auf ihre Vorlage eindrischt. Es ist alles nur noch laut. Nur an einigen Stellen gelingt der Sprung ins Jetzt mit subtileren Mitteln. In Taboris Original etwa überlässt Gretchen (großartig: Laura Lippmann) ihrem Schlomo ein Huhn, das von Hitlers Schlächtern später verbraten wird. Bei Somuncu wird daraus ein plärrendes Flüchtlingsbaby, zu dessen späterem Kochrezept unter anderem ein "sauberer Schnitt durch die Obergrenze" gehört. Und als sich das halb nackte Gretchen mit dem kleinen Ali in einen improvisierten Marienschleier kuschelt, meint man in der rührenden Mutterszene schon die kommende Pietà zu sehen - das Kind wird erst mit Liebe erdrückt, dann mit blindem Hass. Ein selten ruhiger Moment in einer zwar streckenweise intelligenten, aber doch hoffnungslos überladenen Inszenierung.

Zum Ende hin, die Konfetti sind da schon gefallen und Schlomo erträgt geduldig sein Leid am Disco-Hakenkreuz (Ausstattung: Damian Hinz), folgt plötzlich die scheinbare Katharsis. Lobkowitz schießt aus der Hüfte, der Diktator fällt um und stirbt: Ein Ende ohne Schrecken, ein Hoffnungsschimmer, man glaubt es kaum. Dann treten zwei Hitlerjungen auf, in Muttersöhnchen-Uniform. Somuncu lässt sie in gruseligem Unisono eine aus seinen Lesungen bekannte Passage aus "Mein Kampf" - dem Buch, nicht dem Stück - zitieren: "Der Jude ist nur einig, wenn eine gemeinsame Gefahr ihn dazu zwingt ..." Dann gehen die Lichter aus.

Bitterer könnte dieses Stück nicht enden: Für jedes tote Monster wachsen zwei neue nach.

© SZ vom 23.04.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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