Theater:Das Leben ist ein Schaltkreis

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Peter Reisser, Matthias Zajgier, Marc Simon Delfs (von links) erleben den subtilen Horror in psychedelischen Bühnenlandschaften. (Foto: Jochen Klenk)

Donald Berkenhoff inszeniert "Welt am Draht" in Ingolstadt als philosophischen Science-Fiction-Thriller

Von Florian Welle, Ingolstadt

Die Details der Geschichte, die sich der Science-Fiction-Autor Daniel Francis Galouye einst für seinen Roman "Simulacron-3" ausgedacht hat und die durch die TV-Adaption Rainer Werner Fassbinders unter dem Titel "Welt am Draht" berühmt geworden ist, sind einigermaßen tricky. Philosophie ist ganz zentral, zum Beispiel Zenos Paradoxon von Achilles und der Schildkröte. Zum anfänglichen Verständnis genügt es, sich nach dem Prinzip der Matrjoschka-Puppen eine Welt in der Welt in der Welt vorzustellen.

Wissenschaftler des Instituts für Kybernetik und Zukunftsforschung haben ein Programm entwickelt, mit dem sie zu Forschungszwecken (und auch aus wirtschaftlichem Interesse) eine virtuelle, mit künstlichen Menschen bevölkerte Welt simulieren: "Für uns sind das nur Schaltkreise, aber sie selbst leben wie wir, bauen Straßen, hören Musik, essen." Doch irgendetwas am Institut stimmt nicht. Sein Leiter stirbt unter ungeklärten Umständen. Fred Stiller wird sein Nachfolger, und auch ihn befallen rasch Zweifel. Dann werden seine Nachforschungen sabotiert, trachtet man ihm nach dem Leben. "Welt am Draht", das Donald Berkenhoff am Ingolstädter Stadttheater nach dem Drehbuch Fassbinders stringent und konzentriert auf die Bühne gebracht hat, ist Thriller, Dystopie und philosophisches Gleichnis in einem.

Die unbequeme Frage, der sich Stiller - der Name wurde von Fassbinder in Anspielung auf Max Frischs berühmten Roman gewählt - stellen muss: Existiere am Ende auch ich nur in einer virtuellen Welt, hänge als Schaltkreis unter Schaltkreisen am Draht? So gehen in der düsteren Story schließlich drei Welten ineinander über. Was bei Galouye und Fassbinder noch Vorahnung war, ist in Zeiten des Internets dringlicher denn je. Sind nicht längst die Grenzen zwischen analog und digital geschleift, da wir ständig an unseren Displays hängen und ins Netz abtauchen? Zuletzt: Die Geschichte deutet bereits die wichtige Rolle der Wirtschaft an. Auch hier fällt der Brückenschlag zu heutigen Tech-Konzernen, zum Vormarsch von künstlicher Intelligenz, den alles beherrschenden Algorithmen nicht schwer.

So musste Donald Berkenhoff gar keine Anspielungen auf das Hier und Heute einbauen, der Zuschauer assoziiert sie sowieso. Die Bühne von Fabian Lüdicke und Stefanie Heinrich verschränkt Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, man sieht das kühle Innere einer Kirche, daneben die Andeutung einer modernen Firmenzentrale. Die Schauspieler tragen Futuristisches oder wie zu Fassbinders Zeiten beige Scheußlichkeiten. In einer solchen steckt Matthias Zajgier als Fred Stiller, zunehmend fesselnder Kristallisationspunkt der Aufführung. Berkenhoff erzählt ganz klassisch und linear, lässt sich Zeit für die Entwicklung der Figuren. Dementsprechend reduziert, fast wie ferngesteuert, spielt das Ensemble über weite Strecken. Am Anfang wirkt alles noch ganz normal. Der Horror entfaltet sich langsam aber sicher, untermalt von der subkutan wabernden Soundlandschaft von Malte Preuss. Dazu flimmern immer wieder Videoprojektionen von Bettina Reinisch, die die Bühne für kurze Momente in eine verstörend psychedelische Landschaft verwandeln. Schöne neue Welt.

© SZ vom 04.02.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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