Theater:Bester Schauspieler im Staat

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Wolfram Koch (rechts) gibt Shakespeares Unhold Richard III. als Buckelmonster im Beamtenanzug – mit Sprachkraft und Sex-Appeal. (Foto: Arno Declair)

Anselm Weber setzt als neuer Intendant am Schauspiel Frankfurt auf die Erkundung klassischer Stücke. Zum Start gibt es gleich mal einen grandiosen "Richard III." - und einen weniger gelungenen "Woyzeck".

Von Jürgen Berger

Ob Donald Trump in seinen narzisstischen Machtfantasien schon gemordet hat, und wenn ja, wer und wie viele dran glauben mussten, wissen wir nicht. Das Mordkonto von Richard III. hingegen ist bekannt. Er hat neun Menschen auf dem Gewissen. Machthungrige Narzissten sind sowohl der amtierende US-Präsident als auch Shakespeares skrupelloses Buckelmonster. Richard III. - und das ist der große Unterschied - brilliert aber auch als Charmeur und Sprachakrobat, der, gerade weil er so hässlich gewesen sein soll, die Verführungsmacht des Wortes nutzt.

In Frankfurt, wo Anselm Weber seit dieser Spielzeit das Schauspiel leitet, startete die neue Mannschaft mit Shakespeares frühem Königsdrama, und es war vom ersten Augenblick an klar, dass der Abend zwei Hauptdarsteller haben würde: eine der größten Bühnen der Republik und Wolfram Koch, den schillernden Bühnenderwisch und Frankfurter "Tatort"-Kommissar. Die Besetzung der Titelrolle mit ihm sollte sich als Glücksfall erweisen.

Die Zuschauer sitzen rund um einen aus schwarzer Erde getürmten Hinrichtungshügel

Beim Betreten der Spielstätte staunt man allerdings auch nicht schlecht angesichts der riesigen Raumbühne, die Bühnenbildner Stéphane Laimé und Regisseur Jan Bosse der Eröffnungsinszenierung zumuten. Sie haben die Herausforderung des Bühnenraums offensiv angenommen und die große Frankfurter Bühne noch einmal vergrößert. Die Zuschauer sitzen rund um den zentralen Spielort, einem aus dunkler Kohleerde getürmten Hinrichtungshügel. Hier lässt Richard morden, die Leichen werden direkt in einen Schacht entsorgt, als sei das englische Königshaus eine Abraumhalde im Ruhrgebiet. Ansonsten agieren die Schauspieler überall in der Spielhalle, und es ist frappierend, wie gut Shakespeares Liebeshass- und Machtpolitik-Dialoge in so einem Raum funktionieren.

Zwei Tage später stand dann Büchners "Woyzeck" auf dem Programm, das intime Kammerspiel eines geknechteten, in seinem Wahn verlorenen Individuums.

Zwischen diesen Klassikern gab es in den Kammerspielen, der kleinen Bühne des Frankfurter Schauspiels, Laura Naumanns Stück "Das hässliche Universum". Es war die erste Uraufführung eines Eröffnungsprogramms, dass sich nicht substantiell von dem unterscheidet, was in den letzten Jahren in Frankfurt zu sehen war. Anselm Weber orientiert sich an seinem Vorgänger Oliver Reese, der sich 2009 bei seinem Neustart dem Vorbehalt ausgesetzt sah, aus dem Schauspiel einen Kuschelsalon für ein Publikum zu machen, das eher Ablenkung von Zeitfragen sucht, als dass es im Theater einen Diskursraum für aktuelle gesellschaftspolitische Fragestellungen sieht. Aber selbst die schärfsten Kritiker mussten Reese am Ende zugute halten, dass er unbeirrbar auf ein hervorragendes Ensemble und markante Regiehandschriften wie die von Michael Thalheimer setzte.

Dass Anselm Weber, zuvor Intendant in Essen und Bochum, ein exzellent aufgestelltes Haus übernimmt, ist Segen und Fluch zugleich. Fluch insofern, als man Weber holte, damit er dort weiter macht, wo Reese aufhörte. Und Segen, weil die neue Mannschaft auf ein Publikum zählen kann, das schon am Eröffnungswochenende erwartungsvoll strömte und dies nicht zuletzt deshalb, weil der erste Spielplan des neuen Teams ein Bekenntnis zu einem der Klassikererkundung verschriebenen Ensembletheater ist. Im kommenden Jahr wird sich das ballen. Von Januar bis zum Ende der Spielzeit stehen Shakespeares "Romeo und Julia", Kleists "Amphitryon", Lessings "Emilia Galotti" und Feydeaus "Ein Klotz am Bein" auf dem Programm.

Dass Anselm Weber auf Nummer sicher geht, gilt auch für die Kammerspiele. Mit "Die Verwandlung" nach Franz Kafka, Wajdi Mouawads "Verbrennungen", Bernard-Marie Koltès' "Kampf des Negers und der Hunde" und erfolgreichen Autorinnen und Autoren wie der Nobelpreisträgerin Elfriede Jelinek ("Am Königsweg") und Broadway-Star Ayad Akhtar ("Invisible Hand") scheint man der Devise zu folgen: "Wenn schon Experimente, dann bitte erprobte". Anders sieht das im Fall von Laura Naumanns "Das hässliche Universum" aus. Die Uraufführung des Auftragswerks war schon deshalb ein Wagnis, weil es sich um die Zustandsbeschreibung einer Gegenwart handelt, die sich im Ungefähren verliert. Die Autorin verdichtet aktuelle Alltagsprobleme und globale Krisenerscheinungen in einer Textfläche, damit fünf namen- und konturlose Figuren den Wutbürger von der Leine lassen oder verschämt von einer Veränderung der Verhältnisse träumen können. Die Regisseurin Julia Hölscher zeigt diese Angst- und Sorgenbündel als verängstigte Urhorde. Der Text kommt lange Zeit aus dem Off, irgendwann wird auf der Bühne aber doch gesprochen, während die Schauspielerinnen und Schauspieler ausdauernd trippeln oder in Stummfilmposen verharren.

Das geht in Richtung eines minimalistischen Gesamtkunstwerks und ist nicht so weit von dem entfernt, was Roger Vontobel mit Büchners "Woyzeck" versucht. Vontobel zählt schon seit einigen Jahren zu Webers Regiekohorte, in Frankfurt reagiert er unentschieden auf die Herausforderung der großen Bühne. Man blickt in einen weitgehend leeren Raum mit einer monoton rotierenden Drehbühne. Da ist aber auch ein gewaltiger Vorhang aus Leuchtdioden (Bühne: Claudia Rohner) und vor diesem Vorhang Jana Schulz: Frankfurts androgyner Woyzeck, der Stöcke für den Hauptmann (Wolfgang Pregler) spitzt und in Bewegung bleiben muss, um sich auf der ständig rotierenden Drehbühne zu halten. Wir sehen einen in die eigene Kümmernis versunkenen Menschen und frühen Nihilisten. Nach der Ermordung Maries (Friederike Ott) reckt dieser Woyzeck sich in die Höhe und blickt herausfordernd nach vorne, als habe er mit der Gewalttat neues Leben eingesogen. Das ist ein großer Moment, und es sieht so aus, als hätte alleine das gereicht: im Zentrum eine düster vor sich hin brütende Jana Schulz und an der Peripherie all die anderen, die mitnehmen, was sie mitnehmen können. Dummerweise wollte Vontobel aber mehr. Also schillert und blitzt der Leuchtdioden-Vorhang, oder er fungiert als Projektionsfläche für Live-Videos, die aus Büchners Jahrmarktszenen ein krachendes Techno-Event mit einem Tambourmajor (André Meyer) machen, der im Nebenberuf wohl Türsteher einer Russendisco ist.

Während Jana Schulz als Woyzeck vor sich hin brütet, geht ringsherum die Show ab

So inkonsequent Roger Vontobel Jana Schulz' zartes Spiel mit knalligem Showbiz übertüncht, so konsequent setzt Jan Bosse in "Richard III." auf einen Wolfram Koch, der in einem schäbig-schlabbrigen XXL-Beamtenanzug durch den Theaterraum wildert und alles in einem ist: bester Schauspieler im Staat, Hinkemonster mit Sex-Appeal, düsterer Nosferatu-Killer und bösartiger Rockstar. Dass Jan Bosse, kurz bevor Richard endgültig zur Krone greift, auf die rechtspopulistische Grundierung Donald Trumps anspielt und Wolfram Koch unter einer Ku-Klux-Klan-Kutte verschwinden lässt, leuchtet nicht ein, stört aber auch nicht. Immerhin zeigt das neue Frankfurter Schauspiel schon mit der Eröffnungsinszenierung, wie reizvoll klassisches Ensembletheater sein kann.

© SZ vom 07.10.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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