Theater:Ausgefühlt

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Wenn die Liebe weg ist, bleibt Werther (Vincent Redetzki) noch das bedröppelte Schauen. (Foto: Judith Buss)

Die Produktionen "For The Last Time" und "Werthers Quest" bespielen die Räume in der Zschokkestraße auf charmante Weise

Von Christiane Lutz

Werther hängt rum. Seine Studentenbude ist vollgestellt, auf dem Regal sitzen Superheldenfiguren, er googelt und turnt halbherzig ein Fitnessvideo nach. Er seufzt, er stöhnt. Ist auch anstrengend, so ein Leben nach der Liebe. "Werther's Quest for Love" heißt das hübsche Gedankenspiel nach Goethes "Werther". Die Inszenierung stammt von Jonny-Bix Bongers (dessen Eltern kurz für diesen kongenialen Namen gewürdigt sein sollen), Regieassistent.

Es ist eine der zwei Produktionen, die die Kammerspiele aktuell im "Z Common Ground" in dem zwischengenutzten Gebäude in der Zschokkestraße zeigen. Während Werther sich im zweiten Stock quält, ist im Keller "For The Last Time" zu sehen, eine düstere Performance von und mit Kinan Hmeidan, Schauspieler des Open Border Ensembles. Die Inszenierungen verbindet ihr charmanter, kluger Umgang mit den sperrigen Räumlichkeiten. Schon das ein Zugewinn für Theatergänger und "Z Common Ground".

Bongers und Bühnenbildnerin Janina Sieber verwandeln einen Büroraum in Werthers Innenleben, in dem der Zuschauer umher wandelt. Eine Wanne voll Schaum, ein Gewächshaus, eine Holz-Ikone von Werther und das Glaskasten-Zimmer. Vincent Redetzki als Werther spricht kein Wort aus der berühmten Vorlage. Die paar Sätze, die der Regisseur daraus erwählt hat, sind auf Monitoren eingeblendet. Sonst: Schweigen. Für die Liebe gibt es gebirgsgroße und ozeantiefe Worte, für das Leiden auch, aber für die Leere dazwischen nicht. Bongers' Werther verstummt vor dem Abhandengekommensein seiner großen Gefühle. Ein Gedicht und einen weinenden Pappmachékopf probiert er an wie ein Gefühlskostüm und findet doch nicht hinein. Einmal entlädt sich ein Gefühl verbal: die Wut darüber, ein Egoist zu sein, der das eigene Leiden für das Zentrum des Universums hält. Nicht umsonst steht im Schrein über Werthers Bett kein Bild seiner Angebeteten, sondern eins von ihm selbst. Dieser Werther ist ein liederlicher Selbstverliebter, der über die Grenzen seines Stübchens nicht hinaus findet. Bongers Blick auf Werther ist zwar nicht rasend radikal, aber erfrischend, ideenreich und verweist elegant auf die gängige Mode, ständig um die eigene Befindlichkeit zu kreisen.

Während über ihm Videos von einstürzenden Gebäuden laufen (Video: Rabelle Erian), kauert Kinan Hmeidan dann in einem kalten Kellerraum in einer Höhle in der Wand. Bedeckt mit Baustaub packt er Steinbrocken in einen Koffer, schleppt den in die benachbarte Höhle. Vom Band kommt Julia Riedlers Stimme, sie erzählt von einem, der sein Zuhause verließ, und nirgends heimisch wird, es sind Auszüge aus Jean-Luc Lagarces "Einfach das Ende der Welt". Unter großer Anstrengung betoniert Hmeidan eine Wand, nur um sie im nächsten Moment wieder einzuschlagen. Ein kurzes, schmerzloses, aber an dieser Stelle bestens platziertes Nachdenken über die Frage, wie Räume Realitäten schaffen und Erinnerungen prägen können.

Werther's Quest For Love und For The Last Time ; mehrere Termine, Zschokkestraße 36

© SZ vom 04.05.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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