Theater:Aus der Barbiehölle

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Frauen im feministischen Selbstbespiegelungskabinett: Paula Kober (vorne) und das Ensemble in „Die Hand ist ein einsamer Jäger“. (Foto: Vincenzo Laera)

Jetzt reden die Frauen: Pınar Karabulut inszeniert an der Berliner Volksbühne Katja Brunners feministisches Stück "Die Hand ist ein einsamer Jäger". Es geht um Übergriffe, Selbsthass und den Zwang zur Selbstoptimierung.

Von Anna Fastabend

Als eine Darstellerin per Fernbedienung die Blinklichter ausschaltet, die sie und die anderen im Schritt tragen, wird klar: Jetzt ist Schluss, jetzt reden sie. Über sexuelle Übergriffe in der Teenagerzeit, traumatische Schwangerschaften, Selbsthass und Suizid. Kurzum: Darüber, was es mit einem macht, wenn man zur Passivität erzogen und ständig nach der eigenen "Fuckability" beurteilt wird.

Die Forderung nach mehr weiblichen Stimmen, wie sie gerade erst bei den "Burning Issues" erhoben wurde, einer Konferenz zur Gender-Ungerechtigkeit am Theater, hier wird sie umgesetzt. "Die Hand ist ein einsamer Jäger" heißt das Stück von Katja Brunner, uraufgeführt von Pınar Karabulut an der Berliner Volksbühne, auf der kleinen Bühne im 3. Stock. Die zwei Theatermacherinnen zählen gegenwärtig zu den spannendsten jungen Stimmen des Betriebs.

Pınar Karabulut, Jahrgang 1987, hat sich als Regisseurin mit der feministischen Überschreibung von Klassikern wie "Endstation Sehnsucht" und "Romeo und Julia" einen Namen gemacht. Die 28-jährige Katja Brunner, für ihre Stücke bereits mehrfach ausgezeichnet, schreibt meist mit schonungsloser Direktheit aus der Perspektive von Betroffenen, in Form eines assoziativen Bewusstseinsstroms. Ihr Debüt "Von den Beinen zu kurz" handelte von Kindesmissbrauch in der Familie. In "die Hand ist ein einsamer Jäger" hat die Schweizerin nun den Gemütszustand etlicher Frauen in Worte gefasst, über den schon Caitlin Moran in ihrem Kultbuch "How to be a Woman" schrieb. Und für den Laurie Penny in ihrem Essay "Fleischmarkt" eine "patriarchale Kapitalismusmaschine" verantwortlich macht, die sich durch den Erwartungsdruck, Kinder zu bekommen, unentgeltliche Care-Arbeit zu leisten und Schönheitsartikel zu konsumieren, am Laufen hält. Brunner und Karabulut gehen diese Themen mit Biss und viel Ironie an - ohne je selbstmitleidig oder moralisierend zu werden.

Die Bühne, von Franziska Harm gestaltet, zeigt eine kitschig dekorierte rosa Mädchenwelt samt pinkfarbenem Telefon, verspiegelter spanischer Wand und Gymnastikbällen, auf denen die Lolitaköpfchen, wie sie sich nennen, zu elektronischer Musik Selbstoptimierung betreiben. Die Kostümbildnerin Johanna Stenzel hat den fünf Darstellern - drei Frauen, zwei Männer - die Ponyfrisur von Heidi Klum verpasst, dazu brave Poloshirts und sexy Hotpants, die im Verlauf des Abends gegen Paillettenkleider, Volantröcke und bonbonfarbene Stilettos eingetauscht werden. Überhaupt gibt es zahlreiche Referenzen: eine Parodie auf Ulrich Rasches testosterongeladenes Maschinentheater etwa oder auf Miley Cyrus' Musikvideo "Wrecking Ball", in dem die Popfeministin lasziv auf einer Abrissbirne schaukelt.

Die Darsteller, die trotz ähnlicher Kostüme erstaunlich individuell gezeichnet sind, erzählen mal chorisch, mal monologisch von ungebetenen Jungenhänden in Unterhosen, späten Rachegelüsten und Essstörungen, um ja nicht zu viel Platz einzunehmen in der Welt. Als die Ausgehungerten in Zeitlupe einen Burger verspeisen, weiß man nicht, ob man lachen oder heulen soll. Ebenso grandios ist die Abendmahlszene, in der sich Elmira Bahrami von ihren Spielpartnern und einem Zuschauer auf die Blinklicht-Vulva küssen lässt, ihnen Hostien in den Mund steckt und sie mit einem gelangweilten "Amen und Tschüss" wieder entlässt. Auch sonst gibt Bahrami eine urkomische Figur, die verdächtig viel Ähnlichkeit mit der feministischen MTV-Comic-Ikone Daria Morgendorffer hat.

Richtig ungemütlich wird es in der rosaroten Barbiehölle, als sich Malick Bauer plötzlich vom Teenagermädchen in ein triebgesteuertes Mitglied des sogenannten "Hodenclubs" verwandelt und einer Zuschauerin auf den Leib rückt. Später wohnt man einer blut- und schleimverschmierten Geburtsszene bei, die in ihrer Brutalität schwer zu ertragen ist. Zur Welt kommt ein Mädchen, das sich für all die Frauenfeindlichkeit, die ihm noch entgegenschlagen wird, vorab schon mal bedankt. Erzählungen wie diese sieht man noch zu selten im Theater - gerne mehr davon.

© SZ vom 05.06.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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