Theater:Auf Lehm und Tod

Lesezeit: 4 min

Eine ganz neue Exil-Dramatik: Zwei Theaterstücke von Ibrahim Amir und von Fiston Mwanza Mujila wurden in Wien uraufgeführt.

Von Wolfgang Kralicek

Revolutionsromantik im Kampf gegen den IS: Isabella Knöll und Peter Fasching in „Rojava“ von Ibrahim Amir. (Foto: Volkstheater Wien)

Nicht nur, aber ganz besonders in Österreich werden Migranten derzeit hauptsächlich als Problemfälle und Sicherheitsrisiko bewertet. In einem so vergifteten Klima ist es auch ein politisches Zeichen, wenn auf zwei großen Wiener Bühnen binnen weniger Tage Stücke von Autoren uraufgeführt werden, die in diesem Land nicht geboren sind. Der 38-jährige Fiston Mwanza Mujila stammt aus dem Kongo und kam 2009 als Stadtschreiber nach Graz, wo er seither lebt. Der ein Jahr jüngere syrische Kurde Ibrahim Amir zog im Jahr 2002 aus Aleppo nach Wien. Als Schriftsteller hatten beide 2014 ihren Durchbruch. Mujila machte mit seinem Debütroman "Tram 83", der unter anderem für den Man-Booker-Prize nominiert wurde, international Furore. Im selben Jahr wurde in Wien Amirs viel beachtetes erstes Theaterstück "Habe die Ehre" uraufgeführt - eine wirklich witzige Boulevardkomödie zum harten Thema "Ehrenmord".

Sein Medizinstudium hat Ibrahim Amir inzwischen abgeschlossen, er kommt derzeit nur nicht dazu, als Arzt zu praktizieren. Zu gut läuft es für ihn gerade als Dramatiker. Sein zweites Stück "Homohalal" wurde im Vorjahr für die Mülheimer Theatertage nominiert: eine dystopische Satire, in der aus den Flüchtlingen von heute voll integrierte Mitbürger geworden sind, die sämtliche schlechten Eigenschaften der autochthonen Österreicher übernommen haben. Dem Wiener Volkstheater, wo "Homohalal" 2016 eigentlich uraufgeführt werden sollte, war der Stoff damals zu heiß, das Stück wurde wieder vom Spielplan genommen und stattdessen ein Jahr später in Dresden uraufgeführt.

Sozusagen als Wiedergutmachung gab das Volkstheater bei Amir ein neues Stück in Auftrag. Das kam nun auch tatsächlich zur Uraufführung. "Rojava" erzählt vom Wiener Studenten Michael, der 2016 nach Syrien in den Krieg zieht. Allerdings will der junge Mann mit dem Gitarrenkoffer nicht etwa für den IS kämpfen, sondern auf der Gegenseite: Er schließt sich den kurdischen Milizen an, die im Norden den inoffiziellen Staat Rojava kontrollieren und basisdemokratisch verwalten. Der linke Revolutionsromantiker Michael, gespielt von Peter Fasching, ist von dem Gedanken beseelt, für eine gute Sache zu kämpfen. Leider fällt er bei Schießübungen stets in Ohnmacht, wenn er abdrücken soll. Er freundet sich mit Alan (Luka Vlatkovic) an, den es in die entgegengesetzte Richtung zieht: Er hat die Schnauze voll vom Krieg und will nur noch weg; mit Michaels Reisepass schafft er es nach Österreich.

Der Regisseur Sandy Lopicic, der auch Musiker ist, inszenierte das Stück mit viel einschlägiger Musik - fünf Musikerinnen und Musiker sind Teil des Ensembles - und in einem arg pittoresken Trümmer-Bühnenbild von Vibeke Andersen. Die Aufführung hat Rhythmus und Schmelz, vom Schrecken des Krieges aber ist kaum etwas zu spüren, und das liegt auch an der Vorlage: "Rojava" ist weniger doppelbödig gebaut als die schwarzen Komödien, die Amir bekannt gemacht haben. Die menschenfreundliche Ironie, mit der er seine Figuren zeichnet, ist zwar auch hier einnehmend. Diesmal wirkt sie aber auch ein wenig märchenhaft und harmlos. Abgesehen davon, dass Michael am Schluss, wie nebenbei, von einer Kugel getroffen wird.

Der Roman "Tram 83" von Fiston Mwanza Mujila ist nach einem pulsierenden, von Warlords und Nutten frequentierten und von wilden Jazzbands befeuerten Nachtclub benannt. Auch Mujilas neues Stück "Zu der Zeit der Königinmutter", wenige Tage vor "Rojava" im Akademietheater uraufgeführt, ist in einer wüsten Spelunke angesiedelt. Doch während man das Tram 83 noch als Metapher auf den Kongo lesen konnte, ist die New-Jersey-Bar, in der das Stück spielt, nicht mehr genau zu verorten. Dazu kommt, dass das Etablissement seine besten Zeiten hinter sich hat, seit die "Königinmutter" genannte Chefin von einem Gast erstochen wurde. Bevölkert wird das Lokal nur noch von ein paar hängen gebliebenen Stammgästen (Gertraud Jesserer, Markus Hering), die den alten Zeiten nachtrauern. Und dann betritt, wie im Western, auf einmal Mirco Kreibich als mysteriöser Fremder die Bar.

Richtig dramatisch wird es in diesem Stück aber nie. Die Hauptrolle spielt Mujilas lyrische, bildersatte, musikalische Sprache. Die für ihre minimalistischen Bühnenbilder berühmte Katrin Brack denkt nicht daran, eine versiffte Bar zu gestalten: Zu sehen ist eine leere Bühne, über der hintereinander sieben Vorhänge in sieben leuchtenden Farben gehängt sind. Die einzigen Requisiten sind ein paar große Lautsprecherboxen. Denn wie in "Rojava" gibt es in dieser Aufführung Live-Musik. Sie wird von einem Jazz-Rock-Trio gespielt, Patrick Dunst ist dafür verantwortlich. Auch Philipp Hauß versucht in seiner Inszenierung erst gar nicht, das vage flirrende und matt funkelnde Stück zu konkretisieren. Der Burgschauspieler, der seit einiger Zeit auch Regie führt, hat sich stattdessen auf die genaue Arbeit am Text konzentriert.

Räudige Anmut - zwei Männer spielen Prostituierte

Das Stück - das erste, das der Autor auf Deutsch geschrieben hat - ist hauptsächlich ein Rahmen für die fantastischen Geschichten, die die Figuren einander erzählen. Zum Beispiel die vom Lehm-Menschen, der eines Tages unvorsichtigerweise in einen Regen gerät und sich auflöst. Während Mirco Kreibich sie erzählt, schmiert er sich Lehm ins Gesicht und verwandelt sich so vor den Augen der Zuschauer in die Figur, von der gerade die Rede ist - der einfache, aber wirkungsvolle Theatertrick ist der stärkste Moment der 80 Minuten kurzen, atmosphärisch sehr stimmigen Aufführung.

Zum Personal der New-Jersey-Bar gehören auch zwei unterbeschäftigte Prostituierte, die von Sven Dolinski und Simon Jensen mit räudiger Anmut dargestellt werden. Melancholisch beschwören sie "diese Nächte der Schwelgerei, diese Nächte der Masturbation, diese Nächte des Erbrochenen" herauf. Nach einem Sehnsuchtsort klingt das, was sie da vermissen, nicht gerade. Andererseits: Was ist denn das für eine Welt, in der man sich nach Erbrochenem sehnt? Vielleicht ist es ja das, was Fiston Mwanza Mujila sagen möchte: Wir leben in einer Welt, in der man nicht einmal mehr kotzen kann.

© SZ vom 08.03.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: