Theater:Armer alter weißer Alphamann

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Theaterzoologie: Der Mensch stammt vom Affen ab – und spielt ihn nach. (Foto: Gabriela Neeb)

Die Münchner Kammerspiele starten brav divers in die Spielzeit: Anta Helena Recke führt "Die Kränkungen der Menschheit" vor.

Von Egbert Tholl

Vor zwei Jahren gelang Anta Helena Recke ein Coup. Sie nahm sich eine Inszenierung von Anna-Sophie Mahler vor, die zwei Jahre davor im Schauspielhaus der Münchner Kammerspiele eine Adaption von Josef Bierbichlers Roman "Mittelreich" auf die Bühne gebracht hatte. Recke übernahm alle Parameter von Mahlers Inszenierung, veränderte weder Text noch Szenografie, ersetzte aber das weiße Kammerspiele-Ensemble durch ausschließlich schwarze Darstellende. Beide "Mittelreiche" wurden im jeweiligen Jahr zum Berliner Theatertreffen eingeladen.

Während sich Mahler mit sehr musikalischen Mitteln und sehr eigenem Zugang einem autobiografisch unterfütterten Roman näherte, war Reckes Leistung keine theatralische, sie kopierte ja nur bereits Vorhandenes. Ihre Leistung war eine essayistische. Ausgangspunkt war die Frage, wie sich eine schwarze Zuschauerin fühlt, wenn sie, wie in Deutschland nun einmal üblich, eine Aufführung mit einem rein weißen Ensemble sieht. Einem Ensemble, in dem es keine Stellvertreterschaft für sie als zusehenden Menschen gibt. Das drehte Recke um und zeigte einem in ganz weiten Teilen weißen Publikum eine "schwarze" Aufführung, in der also das Publikum sich - zumindest was die Frage der Hautfarbe anging - nicht wiederfand. Als Idee, als Diskursbeitrag war dies bemerkenswert. Als Aufführung selbst nicht, weil die schwarzen Darstellenden nur in drei, vier Fällen die handwerkliche Fähigkeit besaßen, auf einer Bühne zu sprechen, zu singen oder sich auch nur interessant zu bewegen. Die anderen, die Mehrheit, wurden ausgestellt, standen nur wegen ihrer Hautfarbe auf der Bühne, nicht wegen ihres Könnens.

Vielleicht braucht man grobe, letztlich extrem simplifizierende Mittel, will man auf etwas hinweisen, worüber sich die meisten Theaterbesucher keine Gedanken machen. Für ein weißes Publikum sind weiße Schauspieler normal. Ungeachtet der Frage, wie viel schwarzes Publikum es in deutschen Stadttheatern gibt - eine Frage, die Recke vermutlich schon wieder banal fände -, ist jedoch für viele Zuschauer Empathie nicht von der Nähe eines Abbilds ihrer selbst abhängig. Auch ein heterosexueller Zuschauer kann sich für die Dauer einer Aufführung in einen Mann auf der Bühne verlieben, wenn der ihn rührt. Und dieser weiße Zuschauer kann sich genauso gut in den Nöten, Ängsten, Lieben einer schwarzen Figur auf der Bühne wiederfinden. Aber: Hier schreibt halt auch ein weißer Mann, dem es allerdings völlig egal ist, welche Hautfarbe jemand auf der Bühne hat, solange er ihn rührt, begeistert, ins Herz oder Hirn trifft.

Der Abend beginnt als Affentheater und endet mit einer Prozession von Frauen unterschiedlichster Herkunft

Anta Helena Recke allerdings ist stur. Und hat zur Eröffnung der Saison an den Kammerspielen nun einen Abend entworfen, der, hierin ist sie konsequent, mehr essayistische Installation als Theateraufführung ist, gleichwohl aber 39 Menschen als agierendes Bühnenpersonal benötigt. Der Abend heißt "Die Kränkungen der Menschheit", der im Programmheft mitgelieferte Überbau geht von Sigmund Freud aus. Der beschrieb drei Kränkungen, die die Menschheit erfahren habe. Die erste ist die Erkenntnis, dass die Sonne und nicht der Planet Erde im Zentrum des Alls steht. Die zweite ist das Wissen, dass der Mensch nur ein weiterentwickeltes Tier ist. Die dritte kommt von Freud und zeigt auf, dass der Mensch nicht alleiniger Herr über das ist, was er als sein Ich begreift.

Recke bringt nun eine vierte Kränkung ins Spiel. Die betrifft den alten weißen Mann, der begreifen muss, dass er nicht mehr im Mittelpunkt der Welt steht.

In der sogenannten Kammer 2 steht ein Glaskasten wie im Museum, darin ein hölzernes Podest. Sechs Menschen kommen hereingesprungen, spielen sehr gut Affen, Weibchen und Männchen, machen äffische Dinge, grunzen, lachen, lausen sich, haben ein Kleines dabei. Irgendwann landen alle Affen im Glaskasten, trollen sich wieder behende, ihren Platz nehmen nun sechs Museumsbesucher ein. Wie die "Affen als Kunstrichter", ein Gemälde von Gabriel Cornelius von Max von 1889, sprechen die Besucher nun über ein Bild von Araya Rasdjarmrearnsook, das nur sie vor ihren Augen sehen - asiatische Bauern auf einem Feld betrachten Bauern auf einem Bild von van Gogh. Die "Insassen" des einen Bildes mutmaßen über die des anderen, und wir schauen zu, lauschen Ansichten eines fest zementierten europäischen Blicks, werden selbst zu den asiatischen Bauern. Oder zu denen van Goghs. Identitäten verschwimmen. Dann verschwinden die Museumsbesucher ins Publikum, und eine lange, gemächliche Prozession um den nun leeren Kasten setzt ein: Etwa 25 Frauen in farbenfrohen Gewändern und allen Schattierungen dunklerer Hautfarben defilieren vorbei. Man könnte an die Kaaba in Mekka denken. Oder einfach an ein Loch im weißen Weltbild, um das die Frauen prozessieren.

Doch wo ist eine Kränkung, eine Wut? Es ist nur eine brave Vorführung von Identitäten, natürlich superdivers, das reicht heute offenbar schon.

© SZ vom 28.09.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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