Nein, nein, nein. Die Schauspielerin Anne Stein mag nicht mehr. Sie will keine Tyrannen mehr, kein Frühaufstehen, keinen Terror. Nein Fakenews, nein Nazis, nein Spatzis. Anne Stein kennt viele Neins und Vieles, was sie damit versieht, fuhrwerkt erst für sich auf der Bühne herum, verlässt diese, mit Mundschutz, man hört sie durch die Foyers toben, sie kehrt zurück, wieder Mundschutz - und weiter.
Tobende Schauspielerinnen auf der Bühne und abseits von dieser haben stets einen besonderen Charme. In diesem Fall ist das fabelhafte Solo von Frau Stein schon deshalb notwendig, weil sie ja zu ihren drei Kollegen Abstand halten muss. Und weil Toben das Beste ist, was man mit Laura Naumanns Text anfangen kann. Ihr Stück "Das hässliche Universum" kam 2017 am Schauspiel Frankfurt heraus. Nun brachte es Sapir Heller auf die Bühne des Münchner Volkstheaters. Leider nicht im Garten des Hauses, wo Intendant Christian Stückl vor einer Woche mit George Taboris "Goldberg-Variationen" die neu erfundene Sommersaison des Theaters eröffnete, sondern drinnen. Draußen herrschte der Zauber einer Sommernacht, drinnen spürt man die Corona-Bedingungen. 130 Zuschauer, jede zweite Reihe ausgebaut. Doch die Menschen auf der Bühne lassen sich davon nicht verdrießen und erleichtern es einem, die herrschenden Restriktionen für 75 Minuten zu vergessen.
Laura Naumann, geboren 1989 in Leipzig, ist Teil des Performancekollektivs Henrike Iglesias und gut darin, Entrüstung zu formulieren, die von ihren Kolleginnen beherzt umgesetzt wird. Sie hat auch Erfahrung mit Stücken, aber "Das hässliche Universum" ist mehr eine Idee als Bühnenliteratur, eine Textflut, die erst von der Regisseurin Sapir Heller in Form gebracht wurde. Sie findet einen feinen Rhythmus, versammelt Anne Stein, Nina Steils, Silas Breiding und Vincent Sauer immer wieder zu stets neu gestalteten Chorpassagen, die die Vier, allesamt musikalisch begabt, mit Liedern und Gesängen durchsetzen. Doch nicht einmal mit diesem äußerst charmanten und auf den Punkt wachen Personal gelingt es, dem Text seine Seifigkeit, sein konturloses, mäanderndes Herumfischen in dystopischen Gefilden auszutreiben.
Vier Menschen suchen eine Ausflucht aus einem Leben, das von Zwängen und Gegebenheiten bestimmt ist. Was 2017 frei flottierend war, wirkt heute eher wie ein Kommentar auf coronabedingte Einschränkungen des Lebens, wird aber nie scharf, bleibt eher verspielt. Und wird erfrischend analog umgesetzt: Im Text geht es viel um Streams und Blogs, ist die Rede von einer nie auftauchenden Rosa, die digital zur Lust am Untergang aufruft. Alles muss brennen, es ist leichter, die Welt zu vernichten als den Kapitalismus. Die Antworten suchen die Darstellenden in ihren Handflächen, Digitalgeräte gibt es keine.
Aber eben Musik. Wie schlecht muss es um die Welt stehen, wenn man einen Song von Bon Jovi live auf die Bühne bringt. Den aber völlig dekonstruiert, zart. Nina Steils röhrt was von Blur, alle vier singen hinreißend "Time" von Tom Waits und in einem langen, furiosen Crescendo wird mit Lust und komödiantischer Präzision der Untergang geschildert.