"I Don't Live Here Anymore" von The War on Drugs:Tanzen zu Bob, Bruce und Neil

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"Ich werde dort ankommen, wo ich hingehöre": Adam Granduciel (ganz links), Frontmann von "The War On Drugs". (Foto: Shawn Brackbill)

Adam Granduciel, Frontmann der detailbesessenen Rockband "The War on Drugs", ehrt seine Helden - und wird optimistischer.

Von Lennart Brauwers

Dass ein Musiker immer dann die besten Songs schreibt, wenn er völlig am Boden ist, ist natürlich ein Mythos. Aber einer, der sich in der Popgeschichte eben häufig als wahr herausgestellt hat. Man nehme, nur zum Beispiel, Adam Granduciel, Frontmann von The War on Drugs. "Lost in the Dream", das Album, das seiner Band 2014 zu unerwartetem Erfolg verhalf, schrieb der Amerikaner in einer Zeit, in der er sich von der Welt weitestgehend isoliert hatte - und sich ganz seinen Panikattacken hingab.

Dass das Album ein mindestens kleines Meisterwerk wurde, hat wohl denselben Ursprung wie Granduciels Depressionen: Er ist ein fast obsessiver Perfektionist. Quasi jeden Sound überdachte und hinterfragte er, verwarf vieles, ordnete manches neu an, kombinierte das meiste neu - bis alles irgendwann doch zu diesen ganz traumhaften Klanglandschaften zusammengesetzt war. Ein Kontroll-Freak ist er natürlich auch: Die Band besteht eigentlich aus sechs Mitgliedern. Granduciel behielt aber stets die alleinige Kontrolle über seine Vision.

(Foto: N/A)

Auf "I Don't Live Here Anymore" (Warner Music), dem neuen Studioalbum, ist diese noch immer ähnlich wie beim Durchbruch: Die Arrangements sind detailbesessen, die Synthesizer schimmern und glitzern weiterhin aus den Achtzigern herüber. Die melodiösen Gitarrensoli ächzen und jammern wie von Neil Young persönlich herausgewürgt, und die hymnenartigen Refrains erinnern an Bruce Springsteen. Beim Text des Titeltracks schaut außerdem Bob Dylan vorbei.

Granduciel verbaut darin gleich mehrere Referenzen an das Werk des Nobelpreisträgers. Außerdem imitiert er dessen unverwechselbare Wortbetonungen - und das ziemlich manierlich. "Like when we went to see Bob Dylan, we danced to ,Desolation Row'", singt er, leiernd, näselnd. In "Old Skin" taucht dann, Ehrensache, auch noch eine Mundharmonika auf. Nur mal laut gedacht: Vielleicht hätte Dylan Anfang der Achtziger ja tatsächlich so geklungen, wenn er damals etwas weniger von Gott besessen gewesen wäre - und etwas mehr von der Musik?

Ich wusste nie, wo es langgeht - das hat sich geändert

Trotzdem ist "I Don't Live Here Anymore" mehr als nur eine Hommage. Es ist eine liebevoll kuratierte Sammlung von eingängigen Rocksongs, die vor allem: Freude macht. Das passt nicht gut zum Mythos des leidenden Künstlers, steht Granduciel aber gut. Ebenso wie die neue Direktheit seiner Songs. Die Vorliebe für lange Intros und meist noch längere Outros hat er dieses Mal (für seine Verhältnisse) zurückgefahren. Dadurch wird das Album kompakter, einladender. Wenn er Zeilen wie "I'm gonna make it to the place I need to go" singt, klingt er außerdem fast optimistisch. Und zugänglich.

Die Spontaneität, die sich durch die Platte zieht, klingt jedenfalls nicht mehr nach einem Abgeschotteten alleine im Studio, sondern nach einer Band, die endlich wieder vor Leuten spielen will. Auch die Stimme von Granduciel ist deutlicher im Vordergrund, sodass man ihn, anders als früher, meistens verstehen kann, wenn er im Song "Rings Around My Father's Eyes" erzählt, wie die Geburt seines Sohnes ihn verändert hat: "I've never really known which way I'm facing / But I feel like something's changed".

Den Sohn hat er übrigens Bruce genannt.

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