"The Copy Book":Anleitung zum Schreiben

Lesezeit: 4 min

Immer mehr Menschen schreiben immer mehr Texte, die immer weniger Menschen lesen wollen. Wer wissen will, wie man Aufmerksamkeit erlangt, findet im Bildband "The Copy Book" gute Texte für böse Unternehmen und die Kunst des Werbetextens.

Jan Füchtjohann

"Türken, Griechen, Polen, Inder, Äthiopier, Vietnamesen, Chinesen und Peruaner brauchen sich hier gar nicht erst zu bewerben", steht da. Darunter ein gelbes "M", das bekannte Logo der Fastfood-Kette McDonald's. Was soll das denn jetzt? Erst die halbe Welt dick machen, dann den Rest ausgrenzen und am Ende "Ich liebe es" drunter schreiben? Schnell das Kleingedruckte lesen: "Schweden, Südkoreaner oder Norweger übrigens auch nicht. Weil wir Individuen suchen. Der Klang Deines Namens? Ist uns egal. Ehrgeiz und Erfolgswille haben sowieso nichts mit Nationalitäten zu tun. McDonald's hat Mitarbeiter aus 99 Ländern und ist eines der offensten Unternehmen in Schweden. Mach mit auf www.mcdonalds.se."

"if he can make it, so can Volkswagen": Beispielhafte Werbeanzeige aus "The Copy Book. Die besten Werbetexter der Welt erzählen, wie sie ihre Texte schreiben", erschienen im Taschen-Verlag. (Foto: Taschen)

Das ist, muss man zugeben, ziemlich gekonnt. Was auf den ersten Blick wie eine provokative und doch präzis gepeilte Suche nach neuen Mitarbeitern wirkt - Zielgruppe: Einwanderer -, ist auf den zweiten Blick noch mehr. Nach Filmen wie "Super Size Me" und Büchern wie Günter Wallraffs "Ganz unten" traut man McDonald's fast alles zu: schlechtes Essen, schlechte Ökobilanz, schlechte McJobs. Rassismus hätte in diese Reihe ganz gut gepasst. Der Text bürstet genau diesen miesen Ruf gegen den Strich. Die Vorbehalte gegen das Unternehmen und sein billiges, überall auf der Welt gleiches Essen erscheinen plötzlich wie Herablassung gegen alle, die billig essen oder billiges Essen zubereiten - sie wirken ihrerseits wie eine Art Rassismus.

Selbstverständlich ist das ein "Spin", ein geschickter Dreh, ausgedacht von einer teuren Agentur - eine guter Text für ein böses Unternehmen. Mit der Kunst des gelungenen Werbetextens beschäftigt sich der Bildband "The Copy Book". Er enthält, das sollte man gleich sagen, nicht die oben beschriebene McDonald's-Anzeige und überhaupt nur wenige ganz neue Arbeiten, sondern ist vor allem ein Rückblick auf das goldene Zeitalter der Werbung, die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts: von der berühmten "Think Small"-Kampagne der Agentur Doyle Dane Bernbach für Volkswagen bis zum "Just do it" von Nike. Die erste Auflage des Buches von 1995 ist inzwischen eine gesuchte Rarität, es gibt zahlreiche Nachdrucke und nun dieses mehr als doppelt so dicke Update.

Man könnte nun wieder streiten. Die alte Leier anwerfen, ob Werbung denn nicht eigentlich böse ist und solche historische Aufwertung gar nicht verdient. Oder sich als Fachmann aufregen, dass bloß 48 große Texter vorgestellt werden, andere aber fehlen (etwa David Ogilvy). Oder sich fragen, warum eigentlich nur englischsprachige Werbetexte vorkommen. Ginge alles.

Vermutlich ist es aber interessanter, dieses Buch als etwas anderes zu lesen: als Anleitung für das Schreiben unter den Bedingungen der Gegenwart.

Die 100 besten Plakate 2008
:Papa hat die in echt

Wenn Werber sich richtig ins Zeug legen, wird aus Plakaten manchmal Kunst. Die "100 besten Plakate 2008" zeigt nun eine Ausstellung. Eine Auswahl, natürlich in Bildern.

Der Philosoph Leo Strauss hat 1952 fünf Essays veröffentlicht, in denen er unter dem Titel "Persecution and the Art of Writing" die These aufstellte, dass die meisten antiken und frühmodernen Philosophen ihre gefährlichsten Gedanken tief in ihren Texten versteckt hätten, sodass sie nur mit großem Aufwand, Geschick und Bildung wiedergefunden werden können (im Grunde natürlich nur mit dem Geschick und der Bildung eines Leo Strauss). Die Philosophen hätten das aus einem einfachen Grund getan: aus Angst. Sie lebten in einer Zeit, in der die Mächtigen unbedingt das letzte Wort behalten wollten, zu diesem Zweck auch mit Giftbechern, Gefängniszellen und Verbannungen argumentierten.

Diese Zeiten sind lange vorbei, zumindest im Westen. Um hier und heute als Autor verfolgt oder verboten zu werden, müsste man wirklich aufs übelste zur Gewalt aufrufen - und selbst dann wäre der Text vermutlich problemlos im Internet herunterzuladen. Überhaupt, das Internet: "Von Beginn der Zivilisation an bis zum Jahr 2003", so hat der Google-CEO Eric Schmidt einmal gesagt, "wurden etwa fünf Exabyte Information produziert. So viel entsteht heute alle zwei Tage. Und die Geschwindigkeit nimmt weiter zu."

Der Nachteil dabei: Es geht um nichts mehr. Immer mehr Menschen schreiben immer mehr Texte, die immer weniger Menschen lesen wollen. Und wenn dann doch mal einer gelesen wird, dann selten mit großem Aufwand, Geschick und Bildung. Sondern eher flüchtig, desinteressiert, widerwillig und auf der Suche nach einer schnellen Pointe. Kurz gesagt: Heute liest man fast alles so, wie man früher Werbetexte gelesen hat.

Hat je jemand der Werbung wegen eine Zeitung gekauft? Anzeigen finanzierten Zeitungen und Magazine, aber niemand wollte sie lesen. Ein Werbetexter musste daher schnell zur Sache kommen: "Eine Anzeige", schreibt der Werber Tom Thomas in "The Copy Book", "kommt ins Leben des Lesers wie ein mürrischer, verschlagen blickender Verdächtiger bei einer Gegenüberstellung in der Polizeistation, und es gibt keine schützende Unschuldsvermutung. Es wird eher vermutet, dass die Anzeige lügt, und sie wird in Handschellen abgeführt, wenn sie nicht das Gegenteil beweisen kann."

Darum sind alle Werbetexter Kinder von Scheherazade, der Tochter des Wesirs, die dem Prinzen tausendundeine Nacht lang Geschichten erzählt und ihn dabei niemals langweilen darf, sonst wird sie getötet.

Wer also heute etwas schreibt, und sei es nur eine E-Mail oder ein Twitterfeed, kann in "The Copy Book" etwas lernen. Aus den phantastischen Anzeigen, die sich - ohne Bilder und allenfalls in Übersetzung - leider kaum wiedergeben lassen, ebenso wie aus den 48 Versuchen, zu erklären, wie man einen großen Werbetext denn nun schreibt.

Eines ist dabei besonders interessant: Anders als die zwitschernden Freunde der 140 Zeichen war diese alte Garde noch der Auffassung, dass auch der Weg in einer kurzen Aufmerksamkeitsspanne über die "Long Copy" führen kann. "Schau dir", erklärt Sean Doyle, "diese beiden Sätze an, die exakt das Gleiche besagen: 'Frauen bekommen nicht die gleiche Anerkennung.' - 'Ginger Rogers hat alles gemacht, was Fred Astaire machte. Aber sie tat es rückwärts und auf Stöckelschuhen.' Ja, der erste ist kürzer. Ja, er kommt mehr auf den Punkt. Aber welcher könnte dir im Gedächtnis bleiben? Tipp: Den ersten hast du bereits vergessen."

D&AD (Hrsg.): The Copy Book. Die besten Werbetexter der Welt erzählen, wie sie ihre Texte schreiben. Taschen Verlag, Köln 2011. 368 Seiten, 39,99 Euro.

© SZ vom 09.09.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: