Ted-Konferenz:Zurück in die Zukunft

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Kathryn Whitehead weiß, wie die mRNA dahin kommt, wo sie hin soll. (Foto: Bret Hartman/BTED)

Twerking, mRNA-Impfstoffe und Digitalkonzerne: Auf der diesjährigen Ted-Konferenz in Monterey werden die großen Themen der Gegenwart diskutiert.

Von Andrian Kreye

Wenn man seinem Ideenfestival im Sommer 2021 den Untertitel "Ein Plädoyer für Optimismus" gibt, bürstet man schon ordentlich gegen den Strich der allgemeinen Laune. Weswegen der Chef der Ted-Konferenz Chris Anderson auch einräumt, "Optimismus kann einem ganz schön auf die Nerven gehen, wenn man das Gefühl hat, dass rings um einen alles zu Bruch geht". Die Pandemie, die Klimakrise, der Backlash gegen die digitalen Technologien, die Genderdebatten, Identitätsdebatten, Politdebatten, Gerechtigkeitsdebatten. Die Liste der Dinge, die einem die Laune verhageln, nimmt momentan kein Ende. Gerade deswegen der Titel der Ted-Konferenz in diesem Jahr, die für sich selbst ja auch ein Stück Optimismus ist, weil sie nicht mehr wie im vergangenen Jahr nur in Videofensterchen, sondern zumindest für einen kleinen, geimpften Teil des Publikums in Monterey stattfindet. Also in jenem Städtchen an der Pazifikküste, in dem das Ideenfestival 1984 als eine Art Woodstock der kalifornischen Ideenstädte erstmals stattfand. Optimismus war hier immer die Grundeinstellung bei der Suche nach dem Zeitgeist der Zukunft. Weswegen es auch zeigt, in welchem Zustand die Gegenwart ist, wenn die Ted-Konferenz diese Lust auf Zukunft aktiv einklagt.

Optimismus ist aber zwingend, gerade wenn die Welt in gleich drei bis vier globalen Krisen steckt. Sagt bei seinem Auftritt Kevin Kelly, der weißbärtige Pionier der digitalen Kultur, der zusammen mit dem Hippie-Intellektuellen Stewart Brand "The Well", das erste aller sozialen Netzwerke, gegründet und Wired, das Zentralorgan des digitalen Denkens, als Chefredakteur geleitet hat. "Es gibt eine moralische Verpflichtung zum Optimismus", sagt er. Fortschritt sei immer nur dann möglich gewesen, wenn die Menschen glaubten, dass sie das Unmögliche möglich machen könnten. Er nennt sein Ideal "Protopia" als Gegensatz zum oft so unerreichbaren Utopia. Ein Fortschritt in kleinen Schritten.

Lizzo erzählt die Kulturgeschichte des Twerkings

Optimismus kann aber ohne moralische Verpflichtung auch einfach ansteckend sein, wenn zum Beispiel Lizzo, die Rapperin, Sängerin, Flötistin und amtierende Diva des amerikanischen Pop, die Konferenzbühne betritt und von ihrem Weg vom Außenseitermädchen zum Superstar mit so einem Glucksen in der Stimme erzählt, dass der herbe Kern fast nicht auffällt. Sie erzählt die Kulturgeschichte des Twerkings. Kein klassisches Ted-Thema, wo Wissenschaft, Technologie und Aktivismus die Hauptrollen spielen. Dieser Tanz, bei dem vor allem Frauen ihr Hinterteil in die Höhe recken und kunstvoll kreisen lassen, sei ihr Weg gewesen, sich als "fette schwarze Frau" (Originalzitat Lizzo, schwierig natürlich, das aufzuschreiben, wenn die Wort nicht in dieses Glucksen und ein sehr strahlendes Lächeln einer Diva verpackt sind) mit dem Körperteil anzufreunden, mit dem sie am meisten fremdelte. Aber gerade weil dieser Tanz in bürgerlichen Kreisen als verstörend und entwürdigend gelte, habe sie sich damit ein Selbstbewusstsein erkämpft, dass ihr die Karriere als Popstar überhaupt erst möglich gemacht habe. Und sie habe sich auf die Suche nach den Wurzeln dieses Tanzes gemacht. Dabei sei sie auf die religiösen Tänze Westafrikas gestoßen, die mit den verschleppten Sklaven über den Atlantik kamen, im amerikanischen Süden neue Formen annahmen, im Blues, im Jazz, im Hip-Hop, bis schließlich Beyoncé das Twerking als "Uh Oh Dance" salonfähig oder zumindest charttauglich gemacht habe.

Solche Geschichten vom Erfolg gegen schier unglaubliche Widerstände sind die klassische amerikanische Metapher für das Land der unbegrenzten Möglichkeiten. In Zeiten wie diesen sind sie aber auch Parabeln auf den Fortschritt selbst. Weswegen der eigentliche Star der diesjährigen Ted-Konferenz nicht Lizzo ist (die ist nur am berühmtesten), sondern Uğur Şahin und Özlem Türeci, die aus Mainz zugeschaltet werden, aus der Zentrale ihrer Firma Biontech, die mit ihrem mRNA-Impfstoff in Rekordgeschwindigkeit die Möglichkeit geliefert haben, die Corona-Seuche in den Griff zu bekommen.

Eigentlich sollte mRNA ja Krebs bekämpfen

Wenn sie erklären, wie mRNA als Botenstoff für die Proteine funktioniert, also für jene Bausteine des Körpers, die alle biologischen Prozesse vollziehen, dann wird dem Publikum erst einmal klar, dass die beiden schon sehr lange an dieser neuen Technologie gearbeitet haben. Und dass die Seuche für sie vor allem der Notfall war, der diese Technologie nun in überdurchschnittlichem Tempo weltweit zu einem akzeptierten und genehmigten Mittel gegen Krankheiten gemacht hat. Sie erzählen sehr sachlich, was dem entscheidenden Moment den wenig hilfreichen Science-Fiction-Grusel nimmt. Damals im Januar 2020, als sie in einem wissenschaftlichen Papier von dem Ausbruch einer Lungenkrankheit lasen und sofort wussten, dass hier alle Merkmale einer Pandemie zusammenkommen, die die Geschichte der Menschheit verändern könnte.

Für Uğur Şahin and Özlem Türeci ist Covid nur der erste von vielen Notfällen, die sie im Blick haben. Eigentlich sollte mRNA ja Krebs bekämpfen. Aber auch Malaria und Tuberkulose seien in ihrem wissenschaftlichen Fadenkreuz. Derzeit bereiten sie den Aufbau von Produktionsstätten für Impfstoffe gegen genau diese beiden Seuchen vor Ort in Afrika vor.

Als Wissenschaftler habe sie noch nie interessiert, woher jemand kommt

Wie anders sie denken als der Rest der Welt, zeigt ihre Reaktion auf zwei naheliegende Fragen, die ihnen Chris Anderson stellt und die sie eher befremden. Ob Sie denn auch ein wenig stolz darauf seien, dass sie als Einwanderer in Deutschland eine solche historische Leistung vollbracht hätten? Worauf sie trocken anmerken, als Wissenschaftler habe sie noch nie interessiert, woher jemand kommt, nur was er leisten könne. In ihrer Firma seien sechzig Nationalitäten vertreten. Und auf die Frage, was sich denn in ihrem Leben verändert habe, nachdem sie ja nun Milliardäre geworden seien, meinen sie nur, sie hätten eine Firma, die an Innovationen arbeite. Zu viel Geld gebe es bei der Arbeit am Fortschritt nie.

Was sie da andeuten und was die Biotechnikerin Kathryn Whitehead gleich im Anschluss deutlich ausspricht, ist nicht weniger als der Anbruch eines neuen medizinischen Zeitalters. Whitehead stellt jene Nanopartikel her, die mRNA an die richtige Stelle bringen. Keine leichte Aufgabe. Sie beschreibt das mit dem schlichten Bild einer Vase, die man richtig verpacken und adressieren müsse, sonst komme die ja nicht an. Das Verfahren, das sie da beschreibt, ist aufwendig. Aber man versteht schon sehr viel besser, wie diese Impfungen funktionieren und warum sie letztlich so wirksam und sicher sind.

Es ist, als habe man die Programmiersprache für den Körper gefunden

Was sie aber auch beschreibt, ist der historische Wendepunkt, den Covid markiert. "Die Pest brachte uns den Buchdruck, die Spanische Grippe die Massenimpfung. Mit Covid beginnt nun das Zeitalter der mRNA-Impfstoffe." Man habe nun gelernt, mit Proteinen zu kommunizieren. Das ist ein wenig, als habe man die Programmiersprache für den Körper gefunden. Das sei eine Revolution. Und wenn sie dann zum Schluss sagt, Krebs sei wohl das nächst Ziel, dann ist das nicht nur Optimismus, sondern echte Hoffnung.

Es ist dann zum Schluss der Konferenz doch erstaunlich, mit welcher Energie sich die Vorträge in diesem Jahr gegen die Welle des Pessimismus stemmen. Selbst der Techlash wird auseinandergenommen, jener Zorn auf die negativen Auswirkungen digitaler Technologien, der auf der Ted-Konferenz ja auch seinen Anfang nahm. Es ist ein ganz klarer Perspektivwechsel, der hier nicht begleitet, sondern eingefordert wird. Nicht dass die finsteren Seiten dieser Zeit ausgespart werden. Wenn der Gründer der größten Test- und Impffirma mit Statistiken den Vormarsch der Delta-Variante beschreibt, wird einem schon mulmig. Und auch die finstere Rolle der digitalen Konzerne wird nicht infrage gestellt. Sicher erzählt Jeff Dean, Leiter der Abteilung für künstliche Intelligenz bei Google, von den nächsten Schritten, die diese Technologie nehmen muss, um sinnvoll zu arbeiten. Google ist nun mal nicht nur Markt- sondern auch Forschungsstand-Führer. Aber wenn man der Programmiererin Xiaowei Wang zuhört, wie sie beschreibt, dass sich Innovation in den ländlichen Räumen von China und den USA auf eine sehr freundliche Dimension zurückschrauben und dann auch wirklich für das Gemeinwohl funktionieren, möchte man glatt den Glauben an das Gute im digitalen Menschen zurückfinden.

Was also bleibt bei einem Ideenfestival, das den Optimismus einfordert, als den Mann infrage zu stellen, der den großwissenschaftlichen Optimismus mit seinen Bestsellern populär gemacht hat: Steven Pinker. In seiner "Big History" geht es der Menschheit seit Jahrtausenden kontinuierlich besser. Menschen seien gesünder, wohlhabender, glücklicher. Gewalt nehme ab. Dafür bekam er oft schon Widerspruch. Wie er denn seine Theorien jetzt so sehe, will Chris Anderson wissen. Und referiert die eingangs erwähnte Liste der Katastrophen. Ja nun, sagt Pinker, Covid sei ohne Frage ein Rückschlag des Fortschritts. Aber es sei Fortschritt, kein Wunder, was er beschreibe. Und der gehe auch bald wieder weiter. Nur zwei Dinge machten ihm Sorgen. Denn der wahre Treiber des Fortschritts sei Information und ihr freier Austausch. Doch da gebe es die Flut der Falschinformationen von rechts und die Cancel Culture von links. Beides mache den Neustart des Fortschritts schwierig. Nur eines solle man deswegen trotzdem nicht - seinen Optimismus verlieren.

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