Stephen King in München:Nichts ist schlimmer als Bambi

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Stephen King stellte seinen Roman "Doctor Sleep" in München vor. Der Autor verriet, dass er sich mehr vor Walt Disney gruselt als vor Freddy Krüger. (Foto: dpa)

Stephen King erzählt von seinen Ängsten: Der Erfolgsautor stellt seinen neuen Roman "Doctor Sleep" im Münchner Circus Krone vor, eine Fortsetzung von "The Shining". Der Autor macht Witzchen, gibt sich locker und erfüllt ein paar Schriftsteller-Klischees.

Von Anne Hemmes

Es war sein erster Auftritt in Deutschland und der Ort dafür war gut gewählt: Ein bisschen Wohnzimmeratmosphäre, gedimmtes Licht und eine kleine Bühne, die kaum auffällt zwischen den Sitzreihen. Der Schriftsteller Stephen King las beim Krimifestival München vor mehr als 2500 Zuhörern im Circus Krone aus seinem neuem Roman "Doctor Sleep", der Fortsetzung von "The Shining".

Hager, beinahe zerbrechlich wirkt der amerikanische Autor, als er die Bühne betritt. Den Kopf mit dem grauen Haar hält er beim Sprechen vorgebeugt, eine Hand verschwindet hinter dem Rücken. Man könnte meinen, er schiebt damit seinen Bauchansatz nach vorne, der sich unter dem viel zu großen T-Shirt abzeichnet. "Ich kenne Deutschland bisher nur aus Büchern und Filmen, aber das erste, das mir hier auffiel, war das Essen", sagt King. Den Militärstützpunkt Ramstein habe er schon gesehen, aber das sei "wie Amerika". Schlösser und Autobahnen stehen dafür auf der Liste der Dinge, die er sich noch ansehen will. Ein paar Klischees wollen erfüllt sein.

Auch die des publikumsscheuen Autors, der lieber im stillen Kämmerlein sitzt, als einen großen Auftritt hinzulegen. "Öffentliche Veranstaltungen jagen mir eine Scheiß-Angst ein." Die Zuhörer hat King mit solchen Witzchen schnell von sich überzeugt. Knapp zehn Minuten liest er aus seinem neuen Roman. Im Stehen. Das iPad in der einen Hand, das Mikrofon in der anderen. Gerade hat der Autor zwei Absätze vorgetragen, da wischt er mit seinem Finger immer wieder über das Display. Er stockt, hält kurz inne. "Verdammtes iPad", knurrt er ins Mikro und liest dann weiter.

"Ich habe Danny nie vergessen"

Es wäre nun ein Leichtes, zu denken, dass diese 700 Seiten Fortsetzung bloß dazu da sind, an den Erfolg von "The Shining" anzuknüpfen - der liegt immerhin 36 Jahre zurück. Aber es ist weder so, dass King keine neue Ideen für Bücher hätte, noch braucht er das Geld. Mit einer Gesamtauflage von etwa 400 Millionen Büchern hat der 66-Jährige finanziell nichts zu beklagen. Warum also die Fortsetzung, fragt der Moderator des Abends, Literaturkritiker Denis Scheck. Kings Antwort ist simpel: "Ich habe Danny nie vergessen. Und andere offenbar auch nicht." Immer wieder hätten ihn Leser gefragt, was aus Danny geworden sei. Das habe ihn selbst auch interessiert.

Danny, der Fünfjährige, der die alptraumhaften Tage und Nächte im Overlook Hotel in den Rocky Mountains überlebte. Auf seinem Dreirad fuhr er durch die verlassenen Gänge und begegnete dank seiner Gabe, dem "Shining", toten Menschen. Diese Hellsicht sorgte dafür, dass er den tödlichen Tobsuchtsanfalls seines alkoholkranken, schriftstellernden Vaters voraussah. In "Doctor Sleep" ist Danny jetzt Daniel Torrance. Er ist erwachsen geworden, aber die Erfahrungen von damals haben Spuren hinterlassen. Er besitzt noch immer hellseherische Fähigkeiten und leidet darunter. Seine Visionen ersäuft er in Alkohol, bis er beschließt sein "Shining" für andere einzusetzen. In einem Hospiz hilft er den Menschen beim Sterben, indem er ihnen die Angst davor nimmt. Sie nennen ihn "Doctor Sleep".

Mit seinem neuen Roman beschwört King nun die alten Geister aus dem Hotel aus "The Shining" wieder herauf. Dieses Mal ziehen sie in einem Konvoi aus Wohnmobilen durch Amerika. Die scheinbar harmlos aussehenden Rentner sind auf der Suche nach Kindern, die das "Shining" besitzen. Sie ernähren sich davon. Dabei haben sie es vor allem auf das Mädchen Abra Stone abgesehen. Abra freundet sich mit Danny an, der versucht, ihr zu helfen. Die Figur ist nicht ängstlich, sie stemmt sich gegen das Böse, um es zu überwinden. Eine Parallele, die sich in vielen seiner Romane findet. Aber nach 36 Jahren verändert sich ein Autor. "Bei 'Shining' war ich noch feuriger. Es war, als ob mir eine andere Quelle, die größer ist als ich, diktiert, was ich schreiben soll", sagt King.

Ein wiederkehrendes Motiv in beiden Romanen ist die Sucht. Danny ist ebenso alkoholkrank wie sein Vater es war. "Sucht ist etwas Vererbbares", meint King. Leicht vorgebeugt in dem kleinen Sessel erzählt er, dass er selbst Alkoholiker war. Nein, dass er es sei, denn: "Das ist nichts, was einfach aufhört, auch wenn man nicht mehr trinkt." Für ein winziges Zeitfenster scheint King sich zu öffnen. Alle anderen klugen Versuche von Denis Scheck, dem Autor etwas Persönlicheres zu entlocken, scheitern. Schecks - auch sehr direkte - Fragen sind wie ein beständiges Kratzen an der Oberfläche, die King mit Abschweifungen vom Thema und Witzchen abwehrt. "Vieles in 'Doctor Sleep' beruht auf meine eigenen Erfahrungen, aber es ist immer noch Fiktion."

Geschätzt hat King fünf Seiten vorgetragen. Ein kurzes Vergnügen, aber für das Lesen hat er an diesem Abend David Nathan. Der Synchronsprecher, der unter anderem Johnny Depp und Christian Bale in Filmen übersetzt, lässt eine Stelle aus Kings Roman lebendig werden, in der Danny am absoluten Tiefpunkt ist. Er wacht in einer fremden Wohnung auf, hat nur schemenhafte Erinnerungen an die vergangene Nacht. Man hört Nathan zu und kann Danny vor sich sehen, wie seine Gedanken festkleben, den Bewegungen kaum hinterherkommen, vernebelt sind von Kokain und Alkohol. "Erinnerungen sind die wahren Geister", liest Nathan. Ein Satz, den man festhalten möchte.

Am Ende der Veranstaltung hat King zehn Minuten gelesen, ein wenig geplaudert und bekommt Standing-Ovations. Ein paar Fragen aus dem Publikum beantwortet er auch noch, wobei er schon müde wird, die Fragensteller selbst auszuwählen. Nein, er finde es eher amüsant als schlimm, wenn er in Filmen oder Serien kopiert werde. Und wovor gruselt sich einer der erfolgreichsten Horror-Autoren der Gegenwart? King erinnert sich an den Film "Bambi", den er mit seiner Mutter gesehen hat. "Es kann noch so viele Freddy Krügers geben. Nichts ist gruseliger als Walt Disney."

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