Restitutionsdebatte:Arbeit an der Zukunft

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Vertreter der ehemaligen Kolonialgesellschaften mussten Rückgaben bislang mühsam einfordern, oft blockte man sie jahrelang ab: In Cotonou in Benin werden am 10. November mit großem Pomp 26 Kunstwerke empfangen, die französische Soldaten 1892 geplündert hatten und die nun auf Initiative von Präsident Macron restituiert wurden. (Foto: Seraphin Zounyekpe/imago images/Xinhua)

Sophie Schönbergers bestechender Band "Was soll zurück?" liefert den theoretischen Überbau zur allgegenwärtigen Kontroverse um die Rückgabe von Raubkunst.

Von Jörg Häntzschel

Über die Restitution geraubter Kunstwerke wird schon seit Jahrhunderten gesprochen, seit Kunstraub zum gängigen Mittel im Kampf gegen Völker, Nationen, Gruppen wurde. Nie aber so viel wie in den vergangenen Jahren. Was der Debatte bislang fehlte, war der Überbau, die Metaebene, die Theorie. Die reicht nun die Düsseldorfer Verfassungsrechtlerin Sophie Schönberger mit einem schlanken, konzisen Band nach: "Was soll zurück? Die Restitution von Kulturgütern im Zeitalter der Nostalgie".

Ihre Ausgangsidee ist so naheliegend wie raffiniert: Sie nimmt drei Debatten, die bisher selten zusammengedacht wurden, gemeinsam in den Blick - die um den kolonialen Kunstraub, die um NS-Raubkunst und die um die Rückgabeansprüche der Hohenzollern. Der Vergleich liefert nicht nur neue Erkenntnisse zu den drei Einzelsträngen, sondern erlaubt ihr auch eine allgemeine Kritik des Restitutionswesens, seiner Schwierigkeiten und seiner Auswüchse. Für letztere müssen bei ihr immer wieder die Forderungen der Hohenzollern herhalten.

Den Boom der Restitutionsforderungen erklärt Schönberger mit einer immer stärkeren Präsenz des Vergangenen. Es ist so gegenwärtig, dass Heutige sich immer öfter verpflichtet fühlen einzugreifen, um vergangenes Unrecht nachträglich gut zu machen. "Die Vergangenheit wird zum Gestaltungselement der Gegenwart", so Schönberger. Doch wie definiert man dieses Unrecht, und wie lässt es sich von heute aus noch korrigieren?

Wie geht man mit Verbrechen um, die nicht als solche galten, als sie begangen wurden?

Diese Fragen führen geradewegs zu einem klassischen Dilemma des Rechts: Wie geht man mit Verbrechen um, die in der Zeit, da sie begangen wurden, nicht als solche galten, vielleicht sogar in staatlichem Auftrag geschahen, so wie viele Verbrechen der Kolonial- und der NS-Ära? Und sie machen eine Eigenheit des deutschen Rechts sichtbar: Über die Verjährung hinaus ist darin ein sehr robuster "Mechanismus des Vergessens" (Schönberger) eingebaut. Denn wer einen gestohlenen Gegenstand gutgläubig gekauft hat, hat ihn nach zehn Jahren "ersessen", er ist sein Eigentum geworden. Der Bestohlene hat Pech gehabt.

Das materielle Recht hat die Vergangenheit also gut von der Gegenwart abgeschottet. Dem steht unsere Erinnerungskultur entgegen, die vehement fordert, das Vergangene immer wieder neu aufzusuchen und mit heutigen Gerechtigkeitsvorstellungen abzugleichen. Diese neue Kultur des Befragens von Vergangenem nutzen die Hohenzollern mit ihren Entschädigungsforderungen schamlos aus. Statt historische Fakten anzuerkennen, zwingen sie die Länder Berlin und Brandenburg, "letztlich die Frage der Abschaffung der Monarchie und der Errichtung der Republik noch einmal" mitzuverhandeln, so Schönberger. Und die lassen sich darauf auch noch ein.

Was die verschiedenen Restitutionskomplexe ebenfalls gemeinsam haben, ist die auffällig prominente Rolle, die Objekte in ihnen spielen. Über den deutschen Genozid in Namibia wird weniger gesprochen als über die Kunstwerke, die Deutschland aus Afrika gestohlen hat. Die finanzielle Entschädigung, die die Hohenzollern fordern, ließ die Öffentlichkeit kalt, für Empörung sorgte ihr Anspruch auf Stücke aus den Museen und auf ein Wohnrecht in Schloss Cecilienhof.

Sophie Schönberger: Was soll zurück? Die Restitution von Kulturgütern im Zeitalter der Nostalgie. C.H. Beck, München 2021. 158 Seiten, 15 Euro. (Foto: N/A)

Schönberger erklärt das mit der "magischen Fähigkeit" der Objekte, "Imaginationen real werden zu lassen". Sie sind Träger kollektiver Erinnerung, repräsentieren Erfahrungen, Identität, kulturelle Vorstellungen. Aber man muss schon, schreibt sie, genau hinsehen, um Leidenschaft und Kälte im Gezerre um die Objekte richtig einzuordnen. Die Varianten, die sie aufführt, sind zahlreich: Ein Objekt etwa, das in Deutschland nur ein Museumsdepot verstopft, kann für die Herkunftsgesellschaft ein lebender Gott sein. Umgekehrt kann die Restitution eines wertvollen Kunstwerks, das in der NS-Zeit geraubt wurde, für den, der es abgibt, bedeuten, "auch die eigene Unsterblichkeit" aufzugeben. Wenn die Erben der Sammler das Werk nach der Rückgabe verkaufen, weil sie vielleicht Geld brauchen, wird ihnen das wiederum oft als Frevel angelastet.

Die Aufladung der Kunstwerke geht so weit, dass ihnen eine Art eigene Existenz zugesprochen wird. "Nofretete will nach Hause" hieß ein schon 1984 erschienenes Buch zum Thema, so als habe sich die Arme verlaufen. Mal dient diese Rhetorik dazu, die Räuber oder ihre Nachfahren zu entlasten, weil sie die Täter verschwinden lässt. Mal hilft sie, die Rückkehr der Objekte dringlicher zu machen, weil sie die Objekte, die uns oft näher sind als die Bestohlenen, selbst zu Opfern erklärt.

Sind hingegen keine Opfer auszumachen, wird es schwierig, die Öffentlichkeit - es geht ja vor allem um Gegenstände aus öffentlichen Sammlungen - von der Legitimität von Restitutionsforderungen zu überzeugen. Das ist das Problem von Georg Friedrich Prinz von Preußen. Er verweist auf das vermeintliche Unrecht, das seiner Familie angetan wurde, gleichzeitig trägt er wie ein Szepter den Fantasietitel "Chef des Hauses Hohenzollern" vor sich her. Opfer sehen anders aus.

Die Politik delegiert das Problem an die Museen und drängt sie damit aus der Beobachterrolle

Dass trotz der langjährigen Debatten die Restitution von Kunst, die im Nationalsozialismus und in den Kolonien geraubt wurde, kaum vorankommt, das sei die Schuld der Politik, die das Thema trotz des riesigen öffentlichen Interesses bislang kaum beachtet habe, so Schönberger. Statt mit Gesetzen Klarheit zu schaffen, hat sie das Problem an die Museen delegiert, die damit heillos überfordert sind. Bislang war Geschichtsbeobachtung ihre Aufgabe, nun werden sie in die Rolle von historischen Akteuren gedrängt.

Oft ist die Rückgabe eines umkämpften Objekts ohnehin nicht das wichtigste Ergebnis. Das "Prozessuale", die Annäherung können viel wertvoller ein. Doch auch die fällt schwer. Vertreter der ehemaligen Kolonialgesellschaften mussten sie bislang zumindest mühsam einfordern, oft blockte man sie jahrelang ab. Erben jüdischer Sammler bemühen immer öfter amerikanische Gerichte, weil Deutschland ihre Ansprüche abwehrt. Anders ist es bei den Hohenzollern. Mit denen verhandeln höchste Vertreter der deutschen Politik seit Jahren im Hinterzimmer. Der Dialog "auf Augenhöhe" funktioniert mit ihnen offenbar bestens.

Wenn etwas nicht überzeugt an Sophie Schönbergers bestechender Analyse der Restitutionsdebatte, dann ist es ihr Versuch, diese zum Produkt eines "Zeitalters der Nostalgie" zu erklären. Der vergangenheitsselige Wiederaufbau des Berliner Schlosses und die Forderungen, die darin liegende Raubkunst zurückzugeben, um Unrecht der Vergangenheit gutzumachen, sie scheinen eher auf gegenläufige Impulse zurückzugehen. Und auch wenn Rückgabeforderungen immer auf einem kritischen Blick in die Vergangenheit beruhen - zu verstehen sind sie als Arbeit an der Zukunft.

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