Silicon Valley:Die Tränen der Tech-Arbeiter

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Gläserner Tech-Gigant? Einblicke in das Innere geben nicht die Glasfenster der Londoner Google-Zentrale, sondern Foren wie Blind oder Internal Tech. (Foto: Chris Ratcliffe/Bloomberg)

Auf Foren wie Blind oder Internal Tech tauschen sich die Manager der Digitalkonzerne aus: Berichte aus dem Inneren einer Billionen-Dollar-Industrie.

Von Michael Moorstedt

In der vergangenen Woche entließ Peloton, Hersteller von Hightech-Fitnessgeräten, mal eben knapp 3000 Menschen. Gleichzeitig verdoppelte Amazon die Gehaltobergrenze auf 350 000 US-Dollar, während die Mitarbeiter von Meta sich mal wieder für den neuesten Skandal ihres Arbeitgebers schämten.

Wie sich die Beteiligten dabei fühlen, kann man auf einem Twitter-Account namens Internal Tech Emails mitlesen. Denn wie der Name schon verrät, werden hier in unregelmäßigen Abständen Verlautbarungen und interne Kommunikation aus der Welt der großen Tech-Konzerne öffentlich gemacht: Eiskalte Massen-Entlassungen, private E-Mails von großen Gründern, Hintergründe von Privatfehden, was sich zuweilen wie ein Wirtschaftskrimi liest.

Noch spannender als auf Twitter entfaltet der sich allerdings auf Blind. Der Branchendienst Mashable bezeichnete die Plattform mal als "heiße App, auf der man den besten Silicon-Valley-Tratsch lesen" könne. Glaubt man der Selbstauskunft des Forums, treibt sich hier eine enorm hohe Anzahl an Tech-Arbeitern herum. Allein 30 000 Beschäftigte von Amazon seien bei Blind aktiv, 20 000 von Microsoft, etwas weniger von Facebook oder Google. Ein Profil kann nur anlegen, wer sich mit seiner Arbeits-E-Mail-Adresse registriert. Das hält die Zahl der Möchtegern-Manager niedrig und sorgt für eine gewisse Exklusivität.

Die anonyme Plattform bietet Einblick in eine an sich eher verschlossene Welt. Eine Echokammer der Privilegierten und Besserverdienenden. Wer sind die Menschen, die der Welt all die digitalen Produkte verkaufen und damit einen nicht gerade kleinen Teil des öffentlichen Lebens formen? Was treibt sie um? Haben sie manchmal Selbstzweifel?

Wenn man sich durch die einzelnen Beiträge klickt, ist der erste Eindruck verheerend. Da ist von "Interview-Horrorstorys" und stetiger Diskriminierung zu lesen. Von Panikattacken aufgrund der Überarbeitung und davon, wie Google seine Subunternehmer ausbeutet. "In der Schule habe ich mir vorgestellt, große Probleme zu lösen, einen echten Wert zu schaffen, etwas Nützliches zu erfinden", heißt es in einem populären Posting. "Doch im Moment bin ich nur ein Rädchen in einer Billionen-Dollar-Maschine."

Das Gehalt ist fixer Teil der Profil-Informationen

Immerhin wird die Person in der Billionen-Maschine mit einem üppigen Jahresgehalt von 850 000 Dollar entschädigt. Das ist nämlich ein weiterer Bestandteil der Blind-Etikette. Der stetige Rekurs auf die eigene Bedeutung. Die Berufserfahrung, die Position auf der Managementleiter und die Summe der Gesamtvergütung, die man erhält, sind fixer Teil der Profil-Informationen und deuten den Status an, den die Foristen ganz offensichtlich nicht aufzugeben bereit sind.

Allen Wehklagen, allem Zynismus und allen Eingeständnissen, häufig mal am Schreibtisch zu weinen, zum Trotz zeigt man sich auf Blind gegenüber den Tech-Whistleblowern eher kritisch bis offen feindselig. Wer an die Öffentlichkeit tritt, wie etwa die ehemalige Facebook-Beschäftigte Frances Haugen, wird bestenfalls als Nestbeschmutzer angesehen und im schlimmsten Fall heftig beschimpft.

Für Blind selbst ist das Auswerten der diffusen Stimmungslagen inzwischen zum hauptsächlichen Geschäftsmodell geworden. Im vergangenen Herbst startete man einen Service, der Arbeitgebern erlaubt herauszufinden, wie über ihr Unternehmen gesprochen wird. Anders ausgedrückt: Die Arbeitnehmer beschimpfen online ihre Chefs, die Chefs sehen live dabei zu - und bezahlen sogar noch dafür. Schließlich können sich die Personalverantwortlichen gerade in Corona-Zeiten nicht mehr an den üblichen Stellen, in der Kantine etwa oder am Wasserspender, darüber informieren, wie die Stimmung in der Belegschaft gerade ist.

Und so ergeht es den Tech-Angestellten nicht unähnlich wie all den anderen Menschen, die Produkte ihrer Arbeitgeber kaufen. Alle von ihnen generierten Datenpunkte, Empfindungen, Sorgen und Ängste, Bedürfnisse und Begierden werden ausgewertet und analysiert. Und im Zuge dessen zu einer Ware, mit der andere Geld verdienen.

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