Sexszenen in der Literatur:"Leises, rhythmisches Wimmern"

Sex in Romanen zu schildern, kann ganz schön schiefgehen. Unter den schlimmsten Entgleisungen, auch von prominenten Autoren, hat ein britisches Magazin mit dem "Bad Sex in Fiction Award" nun den Sieger ausgewählt.

Von Carolin Gasteiger

Michael Cunningham mit "The Snow Queen"

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(Foto: Literary Review)

Tyler stößt "einmal zu, vorsichtig. Er stößt noch einmal zu, und dann legt er los, rast ins schwankende Nichts." Die Passage stammt aus Michael Cunninghams neuem Roman "The Snow Queen" - und macht das Ziel des "Bad Sex in Fiction Award" deutlich. Das britische Magazin Literary Review (LR) will damit "auf die grobe, geschmacklose, oft nachlässige Verwendung redundanter sexueller Passagen" in modernen Romanen aufmerksam machen "und diese verhindern". Dass Pulitzer-Preisträger Cunningham nominiert war, zeigt, dass die Negativauszeichnung nicht nur No-Names und deren Ergüssen vorbehalten ist. Auch Jonathan Littell wurde bereits mit dem Preis bedacht, John Updike sogar für sein Lebenswerk abgestraft. Darum geht es in dem Buch wirklich: "The Snow Queen" ist an das gleichnamige Märchen von Hans-Christian Andersen, "Die Schneekönigin", angelehnt und erzählt die Geschichte zweier glückloser Brüder in New York auf der Suche nach Inspiration.

Richard Flanagan mit "The Narrow Road to the Deep North"

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(Foto: Literary Review)

In diesem Jahr war die Liste der Nominierten für den "meistgefürchteten britischen Literaturpreis", wie ihn die LR selbst nennt, besonders prominent. Vor kurzem erst wurde der Australier Richard Flanagan mit dem Booker Preis ausgezeichnet - zu diesem Preis könnte sich auch der Bad Sex in Fiction Award gesellen. Die Passage, in der von "Fleisch, Fleisch, Fleisch" die Rede ist und von einem rosafarbenen Graben, der ihren Bauch wie der Äquator die Welt umlaufen habe, ist nicht nur sprachlich skurril. Denn die leidenschaftliche Szene unterbricht ein Hund, der einen toten Pinguin im Maul trägt. Darum geht es wirklich: Um Flanagans Vater, der als Kriegsgefangener der Japaner im Zweiten Weltkrieg am Bau der Thailand-Burma-Eisenbahn mitarbeitete.

Saskia Goldschmidt mit "Die Glücksfabrik"

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(Foto: Literary Review)

Bei diesem Text haben sich unsere Leser in der Abstimmung am stärksten geschüttelt. Hätten Sie den Preis vergeben, Saskia Goldschmidt hätte mit ihrem Roman "De hormoonfabriek" (wörtlich "Die Hormonfabrik") gewonnen. Der Titel deutet schon auf die eine oder andere intime Begebenheit im Buch hin. Aber wer kann denn ahnen, dass "mein Biest, endlich aus seinem Käfig gelassen, wild aufspringt"? Darum geht es in dem Buch wirklich: den Lebensrückblick eines niederländischen Unternehmers, der seine Wurstfabrik in den Dreißigern zu einem Pharmakonzern ausbaut.

Haruki Murakami mit "Die Pilgerjahre des farblosen Herrn Tazaki"

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(Foto: Literary Review)

Auf den Literaturnobelpreis hofft Haruki Murakami immer noch - es vergeht kein Jahr, in dem der Japaner nicht unter den Favoriten ist. Doch nicht alles an seinem Werk begeistert. In seinem aktuellen Roman becircen ihn zwei Frauen, deren "Schamhaar so nass wie ein Regenwald" ist. Eine von ihnen "lässt ihren Oberkörper rotieren, als zeichne sie ein komplexes Diagramm in die Luft, während sie ihre Hüften windet". Auch ein Bestsellerautor kann sich mal im Ton vergreifen. Darum geht es in dem Buch wirklich: die tiefe Verbindung von fünf Freunden, aber auch großen Schmerz (hier lesen Sie eine ausführliche Rezension).

Ben Okri mit "The Age of Magic"

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(Foto: Literary Review)

Und hier der Gewinner: Dass Ben Okri den Bad Sex Award gewonnen hat, zeigt, wie schmal der Grat zwischen den literarischen Auszeichnungen sein kann: Der Nigerianer gewann 1991 den Booker Prize. In "The Age of Magic" wird eine Frau "Orten in sich gewahr, die nur von einem Gott mit Sinn für Humor dort versteckt worden sein konnten." Diesen Sinn für Humor hatten die Juroren des Literary Review wohl nicht. Auch die Protagonistin verfällt nach dem Akt eher "in ein leises, rhythmisches Wimmern." Darum geht es in dem Buch wirklich: Filmemacher machen sich auf die Reise von Paris in ein entlegenes Schweizer Bergdorf - und finden dort die Dämonen, vor denen sie fliehen wollten.

Amy Grace Loyd mit "The Affairs of Others"

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(Foto: Literary Review)

Mehrere der nominierten Autoren dürften von "50 Shades of Grey" inspiriert sein - wie die frühere Playboy-Redakteurin Amy Grace Loyd. "... als sie aufschrie und nicht mehr so heftig atmete, 'Es tut weh, es tut weh.' Ich hörte nicht auf, bis es aufhörte wehzutun, bis ich sie Wohlgefallen äußern hörte." In ihrem Debütroman geht es um eine junge Witwe, die sich von der Welt isoliert, bald aber mit den sexuellen Ausschweifungen einer neuen Mieterin konfrontiert ist. Darum geht es in dem Buch wirklich: Trauer und der Weg zurück ins Leben.

Wilbur Smith mit "Desert God"

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(Foto: Literary Review)

Auch der britische Bestsellerautor Wilbur Smith zählte zu den Nominierten, dank seiner expliziten Schilderung weiblicher Brüste und ihrer "rubinroter Nippel, die sich kräuselten, als mein Blick auf sie fiel". Aber Smiths Bücher finden Anklang: Londons Bürgermeister Boris Johnson und der norwegische Schriftsteller Karl Ove Knausgaard sollen laut Telegraph bei Smith gelernt haben, wie das mit den "Bienen und Blümchen" tatsächlich funktioniert. Smith selbst gibt zu: "Ich habe gern Sex" - und offenbar Spaß am entsprechend schwulstigen Vokabular. Darum geht es in dem Buch wirklich: Macht und Intrigen im alten Ägypten, rund um den ehemaligen Sklaven Taita, der zum engen Berater des Pharao avanciert ist.

May-Lan Tan mit "Things to Make and Break"

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(Foto: Literary Review)

In einer der Kurzgeschichten aus "Things to Make and Break" schildert May-Lan Tan eine Sexszene und deren Protagonistin mit "dem heißesten Mund, als ob sie Lava in ihren Wangen hätte. Ich schließe meine Augen, halte ihr Haar an den Wurzeln. Meine Knochen fangen an zu schmelzen." Darum geht es in dem Buch wirklich: Einzelgänger und Außenseiter.

Helen Walsh mit "The Lemon Grove"

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(Foto: Literary Review)

Schon in ihrem Debütroman "The Brass" schrieb die englische Schriftstellerin Helen Walsh offen über Sex und andere Ausschweifungen (hier lesen Sie ein SZ-Interview mit der Autorin). In "The Lemon Grove" geht sie einen Schritt weiter: eine Frau mittleren Alters fühlt sich im Mallorca-Urlaub zum neuen Freund ihrer Stieftochter hingezogen. "Nathan schließt seine Augen, beißt sich auf die Lippen. Dann dringt er wild geworden in sie ein. Und als es sie erwischt, trifft es sie hart und schnell, wie schon einmal das Leben." Auch hier lassen "50 Shades of Grey" grüßen. Darum geht es in dem Buch wirklich: verbotene Liebe, Älterwerden und einen Mutter-Tochter-Konflikt.

Kirsty Wark mit "The Legacy of Elizabeth Pringle"

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(Foto: Literary Review)

Kirsty Wark ist eine bekannte BBC-Journalistin, in "The Legacy of Elizabeth Pringle" tappt aber auch sie in die "Bad Sex in Fiction"-Falle. Ihre Protagonisten vertieften sich mehr und mehr ins Vergnügen, heißt es, und würden jeden Millimeter voneinander verschlingen, "um ja nicht eine einzige Möglichkeit von Leidenschaft zu vertun". Und das, wo sich die weibiche Figur nie hätte vorstellen können, "zu übermütigem Verhalten" fähig zu sein. Darum geht es wirklich in dem Buch: Eine romantische Familiengeschichte aus der Sicht der 90-jährigen Elizabeth Pringle, die auf ihr Leben zurückblickt. Und im Grunde eine Hymne auf die Insel Arran. Das Magazin Literary Review kürt den diesjährigen Sieger am 3. Dezember. Die meisten der nominierten Romane sind noch nicht auf Deutsch erschienen - und da Literary Review die Auszeichnung vergibt, zeigen wir Ihnen die Originalpassagen. Stimmen Sie ab, welcher Autor Ihrer Meinung nach den Preis verdient hat.

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