Millionen Frauen - und vermutlich einige Männer - sind dabei, wenn sich die einst keusche Studentin Anastasia Steel von ihrem dominanten Partner ("Dom") Christian Grey in einem "Spielzimmer" mit Peitschen und anderen Gerätschaften bearbeiten lässt. Autorin E. L. James scheint mit ihrer "Shades of Grey"-Trilogie die sexuellen Sehnsüchte vieler Leser zu bedienen. Am Dienstag ist der dritte Band der Bestseller-Reihe in Deutschland erschienen, "Befreite Lust" lautet der Untertitel. Der Hype scheint ungebrochen: Allein am ersten Tag wurden schon mehr als eine Million Exemplare verkauft. Nicht verwunderlich also, dass viele Autoren auf den Zug aufspringen wollen. Mindestens 40 Manuskripte mit ähnlichem Inhalt hat Barbara Heinzius, Verantwortliche Lektorin beim Goldmann-Verlag aus München, schon vorgelegt bekommen. Die 51-Jährige hat die "Shades of Grey"-Reihe für den deutschen Markt eingekauft - einen würdigen Nachfolger zu finden, ist allerdings fast eine Sache der Unmöglichkeit.
Süddeutsche.de: Ist es klug, jetzt als Schriftsteller noch auf den "Shades of Grey"-Zug aufzuspringen?
Barbara Heinzius: Überhaupt nicht. Wer jetzt noch anfängt, etwas Erotisches zu schreiben, hat die Welle verpasst. Das ist mit allen Moden so. Wenn man sich da an einen Trend hängen will, ist es eh schon zu spät.
Bekommen Sie viele ähnliche Manuskripte vorgelegt?
Ich bekomme fast nichts anderes mehr angeboten als irgendwelche erotischen Versuche, so nenne ich es mal, denn etwas Gutes war bislang noch nicht dabei. Ich habe langsam einen Standard-Witz: "Wenn ich noch mehr von diesem Zeug lesen muss, muss ich in Therapie gehen."
Warum reichen die Nachahmer nicht an das Erfolgsmodell heran?
Die meisten kommen schon deshalb nicht in Frage, weil sie etwas nicht verstanden haben: Shades of Grey funktioniert nur deshalb so gut, weil es eine Liebesgeschichte kombiniert mit härteren Sex-Szenen ist. Vor allem geht es aber um die Beziehung der zwei Menschen zueinander, die sich im Laufe der Bände auch weiter entwickeln. Diese Nachamungsversuche gehen hingegen oft schon auf Seite drei los, man trifft sich im Fahrstuhl und es geht zur Sache. Genau das befriedigt in meinen Augen aber nicht die eigentlich romantischen Sehnsüchte der Leserinnen.
Was haben Sie denn konkret angeboten bekommen?
Mehrfach waren das Geschichten über Protagonistinnen, die in Sex-Clubs gehen. Das ist ja das Gegenteil von einer Liebesgeschichte, das ist professioneller Sex. Da arbeiten Call-Boys und es geht heiß her. Wenn man nur über Sex lesen will, mögen das die richtigen Bücher sein. Die Shades of Grey-Zielgruppe tickt anders. Da gehört die Liebesgeschichte einfach dazu.
Sind die Frauenrollen in den Nachahmungen dann nicht emanzipierter?
Das Frauenbild war in den Manuskripten entweder ähnlich oder sie waren in Sachen Sex sehr emanzipiert. Die Protagonistinnen haben darin schon viele Erfahrungen und sind eben keine Jungfrauen mehr wie Ana aus Shades of Grey. Das sind Frauen, die ihre Liebhaber wechseln wie ihre Unterwäsche. Das funktioniert nicht, weil sich die Leserinnen damit nicht identifizieren können. Und letztlich ist dieses Verständnis von starken Frauen in meinen Augen es auch nur pseudo-emanzipiert.
Wer reicht solche Manuskripte ein?
Die Autorinnen sind zum Teil Debütantinnen, die einen ähnlichen Hintergrund haben wie E. L. James. Das heißt, dass sie auch schon im Internet veröffentlicht haben. Zum Teil sind es auch arrivierte Erotik-Autorinnen, die eher die klassische Erotik schreiben und jetzt auf die Chance eines Millionensellers hoffen.
Versuchen sich auch Männer an "Shades of Grey"-Adaptionen?
Das ist die absolute Ausnahme. Ich habe ein unverlangt eingereichtes Manuskript von einem Herren bekommen. Das war auch aus der Perspektive einer Frau erzählt, aber es war eigentlich eine Männer-Fantasie, die auf eine Frau projiziert wurde. Die Hauptfigur war dann so, wie Männer vermutlich eine Frau gerne hätten: zu allem bereit.
War auch schon etwas dabei, das Sie weggelegt haben, weil es einfach zu heftig wurde?
Manchmal kommen auch Sachen mit Tieren. Da steige ich wirklich aus. Es gibt offensichtlich sexuelle Fantasien, mit denen ich mich nicht beschäftigen möchte und zu denen ich auch keine Bücher machen möchte. Das ist aber wirklich die Ausnahme. Die meisten sind ähnlich zu Shades of Grey: Schon detailliert, also keine umschreibenden Blümchensex-Geschichten, aber eben doch so, dass es im Ästhetischen bleibt und nicht pornografisch wird.
Haben Sie trotzdem noch irgendetwas in die Richtung ins Programm genommen?
Das einzige, was wir machen, ist die Geschichte einer Frau, die so etwas wirklich erlebt hat. "Das geheime Verlangen der Sophie M. Tagebuch einer unterwürfigen Liebhaberin" von Sophie Morgan. Das ist das einzige, das neben Shades of Grey eine gute Chance haben könnte, weil es kein Roman ist.
In Zukunft müssen wir uns aber trotzdem keine Sorgen machen, dass ein ganz neues Genre der SM-Liebesromane entsteht?
Das glaube ich nicht. Ich denke, dass Shades of Grey ein einmaliges Phänomen ist, wie Harry Potter. Es haben auch viele probiert, Harry Potter-ähnliche Bücher zu schreiben, aber das hat den Buchmarkt nicht revolutioniert. Wenn überhaupt traue ich noch "80 Days - Die Farbe der Lust" von Vina Jackson oder "Bared to You" aus der Crossfire-Trilogie von Sylvia Day zu, dass es überhaupt funktioniert.
E. L. James: Shades of Grey. Befreite Lust. Band 3. Roman. Aus dem Englischen von Sonja Hauser und Andrea Brandl. Goldmann Verlag, München 2012. 672 Seiten, 12,99 Euro.