Schriftsteller Henning Mankell:Zurück nach Südostafrika

Lesezeit: 5 min

Vom Krebs erholt: der schwedische Autor Henning Mankell. (Foto: dpa)

Als bei Henning Mankell Lungenkrebs diagnostiziert wurde, musste er seine Wahlheimat verlassen: das Teatro Avenida in Mosambik. Nun geht es ihm besser - und das Ensemble hofft auf seine Rückkehr. Ein Ortsbesuch.

Von Ronen Steinke

Die gute Nachricht hat lange auf sich warten lassen. Man mag ihr jetzt auch noch nicht ganz trauen, die schockierenden Meldungen sind ja noch gar nicht so alt: Anfang des Jahres war bei Henning Mankell, dem s chwedischen Schriftsteller, Lungenkrebs diagnostiziert worden. In seinem öffentlich geführten Krebstagebuch schrieb der 66-Jährige von einem "Absinken in die Hölle", er zog sich ganz zurück. Der Autor versank in dunklen Gedanken. Ähnlich dem Romanhelden, der ihn zu Weltruhm gebracht hatte, dem zuckerkranken Kommissar Wallander.

10 000 Kilometer südlich von Schweden, in der Hauptstadt Mosambiks, haben sie das sehr genau mitbekommen. Sie haben schließlich jede der vielen E-Mails beantwortet, die Mankell ihnen von seinem schwedischen Krankenbett aus schrieb. Er tat das selbst dann noch, als er sonst niemanden mehr sprechen wollte.

Immer wieder haben die Freunde in Mosambik ihm auch Fotos gemailt - vom Leben, von Geburtstagsfeiern. "Damit er sich weiter als ein Teil von uns fühlen kann", sagt dort Manuela Soeiro, eine sehr kleine Frau, etwa so alt wie Mankell und ganz in Künstlerschwarz gekleidet.

Schwedischer Krimiautor
:Henning Mankell an Krebs erkrankt

In einem Artikel für die schwedische Zeitung "Göteborgs Posten" hat Krimiautor Henning Mankell seine Krebserkrankung öffentlich gemacht. Der Schöpfer der Krimifigur Kurt Wallander will in einer Kolumne über seinen Kampf gegen die Krankheit berichten.

Draußen vor der Tür rauschen rostige Kleinbusse über eine vierspurige Straße. Frauen verkaufen auf dem Boden Obst, der Duft von Curry und Rauch vermischt sich mit dem Wind vom Indischen Ozean. In den Pfützen schwimmt Müll. Drinnen lädt Manuela Soeiro auf bequeme rote Plüschsessel ein: Sie ist Theaterdirektorin in dieser ostafrikanischen Küstenmetropole. Das Teatro Avenida in Maputo: Es ist die zweite Heimat des Henning Mankell. Mindestens. Die meiste Zeit in den vergangenen 22 Jahren war es sogar seine erste.

Hier hat er den Großteil seiner Romane geschrieben. Immer vormittags, bevor die Theaterproben begannen, schickte er von seinem Schreibtisch aus den grüblerischen Ermittler Wallander durchs kalte Südschweden. Nachmittags und abends arbeitete er als künstlerischer Leiter des Theaters und übte mit dem jungen mosambikanischen Ensemble, auch dann noch, als er in Europa schon Millionenauflagen erreicht hatte. Seitdem Mankell an Krebs erkrankt ist und sich zur Chemotherapie nach Schweden zurückgezogen hat, telefoniert Manuela Soeiro jede Woche mit ihm.

Aber jetzt ist sie zurückgekehrt von einem zweiwöchigen Besuch. Und so hat sie sich von den guten Nachrichten auch persönlich überzeugen können.

Es soll ein Comeback geben

"Einige meiner Tumore scheinen ganz verschwunden zu sein", lautet der jüngste Eintrag in Mankells Krebstagebuch, abgedruckt in der schwedischen Zeitung Göteborgs-Posten. "Andere sind kleiner geworden, teils mehr, teils weniger, und es sieht so aus, als sei kein neuer hinzugekommen. Es gibt zwar bei Krebs keine Garantie, aber wo im Leben gibt es die?" Die Chemotherapie hat angeschlagen, der Schriftsteller schöpft Mut. "Ich bin ein Kind der Vierzigerjahre", hatte er zu Beginn seiner Krankheit noch düster notiert: "Ich glaube, dass jeder in meiner Generation Krebs automatisch mit Tod assoziiert." Inzwischen spricht er mit seinen Theaterfreunden in Maputo über das Weitermachen.

Es soll ein Comeback geben, im Teatro Avenida. Und wenn man sich auf dessen Plüschsesseln mit Manuela Soeiro unterhält, dann glaubt man zu erahnen, weshalb Mankell oft irritiert war über europäische Journalisten, die immer nur wissen wollten, was ihm abgehe, wenn er in Afrika sei. "Keiner fragt mich", so hat er da einmal erwidert, "was mir in Schweden abgeht."

2003 führte er in seiner ersten Theaterproduktion für den deutschsprachigen Raum Mitglieder des Teatro Avenida mit Schauspielern aus Graz zusammen. (Foto: dpa)

"Wir hören hier natürlich nicht auf, unserer Kunst nachzugehen", sagt Manuela Soeiro, "ganz gleich, ob er da ist oder nicht. Das ist das beste Geschenk, das wir Henning machen können." Vor ihr auf der Bühne nehmen die Schauspieler Position ein, die Nachmittagsprobe beginnt, das Bühnenbild zeigt einen Wohnblock. Dunkel angelaufener Beton, zersplitterte Holztüren, die schon mehrfach aufgebrochen worden sind. Davor ein ausgeschlachteter VW-Golf.

"Das Besondere an der Zusammenarbeit mit Henning ist, dass er es versteht, ausländische Theaterstücke auf unsere mosambikanischen Verhältnisse zu übertragen. Auch kulturell. Dafür hat er ein sehr feines Gespür in Maputo. Er ist einer der wenigen Menschen, der anderen richtig Gehör schenkt, wenn sie etwas sagen. Natürlich sind wir alle traurig, dass er fehlt. Aber sehen Sie, dieses Theater gibt es schon seit 1986. Henning ist 1992 dazugekommen. Es ist nicht so, als ob alles mit ihm stehen und fallen würde."

Wie Manuela Soeiro das sagt, klingt es kein bisschen schroff, sondern eher nach einer angenehmen Beruhigung - ihrer selbst, ihres Ensembles und vielleicht auch ihres langjährigen künstlerischen Partners Mankell. Sie grinst. "Er hat sich für uns nicht in einen Gott verwandelt." Mankell seinerseits hat seine Partnerin auch nicht als Heilige auf ein Podest gehoben, als er sie einmal zu einer Romanfigur verarbeitete. "Der Chronist der Winde", das 1995 erschienene Buch, von dem Mankell sagt, es habe "einen besonderen Platz in meinem Herzen", ist ein Schlüsselroman; es beschreibt das Teatro Avenida. Die Chefin des Hauses darin heißt Dona Esmeralda. Sie ist eine großherzige Matriarchin, die es nicht fertigbringt, die halb blinde alte Putzfrau zu entlassen. Aber Mankell beschreibt sie auch genussvoll als schrullig.

"Ich dachte, ich sollte nicht länger warten, und ging leise durch den Mittelgang auf Dona Esmeraldas Rücken zu", schreibt der Autor in einer Szene, die zwischen den roten Plüschsesseln des Zuschauerraums im Theater spielt. "Sie saß vollständig regungslos da. Als ich zu ihr hinkam, entdeckte ich, dass sie eingenickt war. Trotzdem saß sie aufrecht, ihr Kinn war nicht auf die Brust gesunken. Die Schauspieler auf der Bühne durften nicht merken, dass sie schlief. Ich wollte mich gerade wieder zurückziehen, als sie mit einem Ruck aufwachte und mich ansah. Sie deutete mit einer Hand auf den Platz neben sich. Behutsam schob ich die Kognakflasche weg, die neben dem Stuhl stand, und setzte mich."

Zufällig Hamlet?

Die Inszenierungen im Teatro Avenida sind meist laut und lustig, es wird viel gelacht, wenn auch nicht in einer Tour wie in dem einzigen anderen Theater der Stadt, dem feuchtfröhlichen "Gungu" mit seinen tausend Plätzen und seinem Getränke-Ausschank. Das Ensemble von Manuela Soeiro und Henning Mankell spielt Stücke über Aids, Armut und Korruption.

Gerade läuft eines vom Berliner Grips-Theater. "Linie 1" heißt das Stück, in dem es um die Berliner U-Bahn-Linie geht. "Xapa 100" haben sie es hier genannt und aus der U-Bahn die bekannteste Buslinie der mosambikanischen Hauptstadt gemacht. Als vor dreizehn Jahren der damalige Korrespondent der SZ hier zu Besuch war, sagte Mankell einmal beiläufig: "Ich könnte ,Hamlet' inszenieren, die Schauspieler könnten das, aber es gibt Wichtigeres." Zufall, dass er jetzt, eine Krebserkrankung später, zwischen dem Verkehrslärm von Maputo just den "Hamlet" auf die Bühne bringen will? Am 8. November, so sagt es Manuela Soeiro, soll Premiere sein. Die Rolle von Prinz Hamlet werde Ensemblemitglied Jorge Vaz spielen.

Der Schwede und die Mosambikanerin schreiben im Moment noch gemeinsam am Skript - auch Shakespeare soll ins heutige Südostafrika übertragen werden. Bei den Proben, die im September beginnen sollen, wird Mankell nicht dabei sein können; noch sei er zu schwach. Statt seiner werde der dänische Regisseur Eyvind Anderson kommen. Aber man hoffe, dass Mankell es womöglich zur Premiere schaffen könnte.

"Hamlet" wurde von einem Engländer geschrieben, das Stück handelt von einem dänischen Prinzen im Mittelalter und wird nun von einem Schweden adaptiert. Darin sollen sich junge Mosambikaner heute wiederkennen, darin sollen sie ihre Probleme widergespiegelt sehen? Genau dies sei die besondere Kunst von Mankell, sagt Manuela Soeiro und lächelt. Abgesehen davon, dass Mosambik auch noch ein bisschen im Mittelalter stecke, was ihm die Adaption sicherlich erleichtern werde. "Man hatte bei Henning immer das Gefühl, dass die Stücke von hier waren."

© SZ vom 02.08.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: